Worum geht es? Der ehemalige Manager des deutschen Finanzunternehmens Wirecard, Jan Marsalek, war auch ein russischer Spion. Das haben gemeinsame Recherchen, unter anderem vom «Spiegel» und dem ZDF, ergeben. Sie haben Marsaleks Geheimidentität aufgedeckt: Er tarnte sich in Russland als orthodoxer Priester. Die Recherchen legen nahe, dass Marsalek wohl bereits jahrelang für die russischen Geheimdienste spionierte. Er war untergetaucht, als im Sommer 2020 der milliardenschwere Betrugsfall um Wirecard ans Licht gekommen war. Nach ihm wurde seither gefahndet.
Wie konnte Marsalek unerkannt bleiben? Roman Lehberger vom «Spiegel» war einer der Journalisten, die Teil der Recherche waren. Er geht davon aus, dass Marsalek die Unterstützung russischer Behörden hatte. Dies, weil Marsalek im Besitz eines echten Passes eines russisch-orthodoxen Priesters war. «Der Priester wurde wohl ausgesucht, weil er ihm sehr ähnlich sieht», sagt Lehberger zu SRF News. «Er ist auch fast gleich alt wie Marsalek und wir gehen davon aus, dass dieser Priester entweder gezwungen oder überzeugt wurde, seine Identität zur Verfügung zu stellen.» So ein echtes Dokument zu bekommen, sei nur durch die Unterstützung russischer Dienste möglich.
Wie tief ist Marsalek in russische Spionagenetzwerke verstrickt? «Bislang galt Marsalek ein bisschen als ‹Catch me if you can›-Betrüger, der viele Leute um ganz viel Geld gebracht hat», sagt Lehberger, und verweist auf Wirecard, in das viele Leute investiert haben. Nun habe man Marsalek nachweisen können, dass er seit mindestens zehn Jahren mit Leuten aus dem russischen Sicherheitsapparat zu tun hatte. «Dazu liegen uns Akten aus Österreich vor: vertraulich eingestufte Ermittlungsakten von Recherchen der dortigen Behörden, die klipp und klar sagen, dass Marsalek Teil einer nachrichtendienstlichen Zelle für die Russische Föderation war.» Das seien neue Erkenntnisse und ein weiterer Baustein in diesem «Gesamtbild Marsalek», der mit sehr gefährlichen Leuten zu tun gehabt und mutmasslich für diese Geheimdienste auch spioniert habe.
Was hat Marsalek konkret getan? Er soll laut Lehberger nach seiner Flucht 2020 einen Agentenring in England angeleitet haben. «Da geht es um bislang sechs bulgarische Staatsangehörige, die in England gelebt haben, die für Marsalek Aufträge ausgeführt haben.» Es gehe um die Observierung und Überwachung von Zielpersonen, Feinden von Putins Regime.
Inwiefern war Wirecard in die Spionageaktivitäten verwickelt? Diese Frage gelte es jetzt zu klären, sagt Lehberger. Wirecard habe auch zu grossen Teilen unter dem Einfluss von Marsalek gestanden. Es gebe Hinweise, dass Wirecard mutmasslich benutzt worden sein könnte, um russische Behörden mit Informationen zu versorgen. Und es gebe auch Hinweise, dass Wirecard-Geld in Söldnerfirmen investiert wurde. Das sei, so Lehberger, aber nicht bewiesen. «Was wir sicher wissen, ist, dass es Jan Marsalek über eine verschachtelte Firmenkonstruktion gelungen ist, seine eigene Söldnerfirma zu kaufen.»
Gibt es schon Reaktionen auf die Recherche? Der deutsche Geheimdienstkontrolleur Konstantin von Notz hat die Einsetzung eines Sonderermittlers gefordert. Da der Fall Marsalek eine «so relevante Sicherheitsfrage für andere Dax-Unternehmen, für die deutsche Wirtschaft, für die deutsche Politik» sei, gebe es die Pflicht, genau hinzuschauen und wirklich zu ermitteln.