«Sputnik V», der russische Impfstoff gegen das Coronavirus, wurde trotz Bedenken aus dem Ausland vor rund einem Monat für eine breite Anwendung in der Bevölkerung freigegeben. Er wurde bislang nicht nach internationalen Standards getestet. Nun befindet sich «Sputnik V» seit Mittwoch in der sogenannten Phase-3-Studie, der eigentlichen letzten Phase vor der Freigabe eines Impfstoffs.
Mehr als 35'000 Menschen aus der russischen Hauptstadt Moskau hätten sich bereits als Freiwillige gemeldet, melden russische Behörden. Geimpft werden sollen insgesamt 40'000 Personen in 20 Kliniken der Stadt. Gleichzeitig soll der Impfstoff laut dem Gesundheitsministerium aber schon bald breitflächig in der Bevölkerung eingesetzt werden.
Das bedeutet: Das Testverfahren läuft gleichzeitig zu ersten Impfungen in der Bevölkerung. Prominente aus Politik und Wirtschaft, darunter etwa der russische Verteidigungsminister oder der Bürgermeister von Moskau, haben sich bereits impfen lassen. Zudem sollen bestimmte Berufsgruppen in den nächsten Tagen geimpft werden, darunter Ärzte, Soldaten und Lehrpersonen.
«Sputnik V» wird also bereits eingesetzt, bevor klar ist, ob und wenn ja, welche Nebenwirkungen der Impfstoff hat. Staatliche russische Medien behaupten derweil, der Impfstoff sei bereits fertig, sicher und effizient. Mit Berufung auf das Gesundheitsministerium ist sogar die Rede davon, dass die Impfung mit «Sputnik V» eine zweijährige Immunität garantiere.
Mir scheint, als wollten sich die russischen Ärzte und Funktionäre aus dem Gesundheitsministerium selbst überholen.
«Da stellt sich als Beobachter die Frage: Warum wird noch getestet, wenn alles so wunderbar ist?», sagt Russland-Korrespondent David Nauer. «Mir scheint, als wollten sich die russischen Ärzte und Funktionäre aus dem Gesundheitsministerium selbst überholen.» Grund für das übereilte Vorgehen ist aus Sicht von Nauer PR und Image: Russland will sich als Forschungsgrossmacht darstellen – in der Welt und gegenüber dem eigenen Volk.
«Die russischen Behörden tun auch so, als wäre diese Impfung schneller als alle anderen Impfungen erfunden worden. Das stimmt aber nicht. Faktisch hat am Mittwoch die Testphase 3 mit zehntausenden Probanden begonnen», so Nauer. In dieser Phase stecken einzelne westliche Firmen bereits seit mehreren Wochen. «Der Unterschied ist aber, dass die Russen einfach behaupten, ihr Impfstoff sei bereits fertig.» Das Tempo habe sicher auch damit zu tun, dass die Bereitschaft bestehe, Opfer in Kauf zu nehmen, wenn etwas schieflaufen sollte.
Eine Umfrage unter russischen Ärztinnen und Ärzte hat ergeben, dass etwas mehr als die Hälfte dagegen ist, eine Impfung mit «Sputnik V» injiziert zu bekommen. Die Befragten schätzen das Risiko zum jetzigen Zeitpunkt noch als zu gross ein. Das decke sich mit Nauers persönlichen Eindrücken, sagt er: «Ich habe in den letzten Tagen mit mehreren Russinnen und Russen gesprochen. Viele sagen, dass sie vorerst noch die Finger vom Impfstoff lassen – weil sie nicht sicher sind, ob er wirkt – und wie er wirkt.»