Ein Impfstoff gegen das Coronavirus ist das Ziel unzähliger Forscherinnen und Forscher weltweit. Längst ist ein Wettlauf ausgebrochen, wer zuerst mit einem Impfstoff aufwartet. Russland will nun ebendies vollbracht haben: Es hat als erstes Land der Welt einen Impfstoff gegen das Coronavirus für die breite Anwendung in der Bevölkerung zugelassen.
«Das russische Vakzin gegen das Coronavirus ist effektiv und bildet eine beständige Immunität», sagte Kremlchef Wladimir Putin im Staatsfernsehen. Eine seiner beiden Töchter habe sich schon impfen lassen. Bei ihr seien nach der ersten Injektion 38 Grad Fieber gemessen worden, das aber rasch wieder gesunken sei. «Sie fühlt sich gut.»
Russland hat offenbar nicht nur geniale Wissenschaftler, sondern auch eine gehörige Portion Risikobereitschaft.
Der Impfstoff sei von einem staatlichen Forschungslabor in Moskau in Zusammenarbeit mit der russischen Armee entwickelt worden, erklärt SRF-Korrespondent David Nauer. «Das Labor hat viel Erfahrung und ist sicher auch sehr kompetent. Es fällt aber durch zuweilen ungewöhnliche Methoden auf.»
So habe der Leiter der Institution vor einigen Wochen verlauten lassen, seine Mitarbeiter hätten den Impfstoff bereits an sich selbst und an den eigenen Verwandten getestet. «Man sieht: Russland hat offenbar nicht nur geniale Wissenschaftler, sondern auch eine gehörige Portion Risikobereitschaft.»
Zurückhaltung im In- und Ausland
Internationale Fachleute sind skeptisch, ihnen geht die Zulassung zu schnell. Diese erfolgt nämlich vor der «Phase 3» – der Impfstoff wurde also noch nicht in grossem Massstab getestet. Eine Zulassung vor dem Vorliegen der Ergebnisse grosser klinischer Studien widerspricht dem international üblichen Vorgehen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stellte im Vorfeld klar: «Jeder Impfstoff muss alle Versuchsreihen und Tests durchlaufen, bevor er genehmigt und ausgeliefert wird.»
Doch auch in Russland selbst gibt es kritische Stimmen. «In einem offenen Brief haben Experten vor zu grosser Eile gewarnt», berichtet Nauer. Solange der Impfstoff nicht ausreichend getestet worden sei, würden unnötig Menschen gefährdet, so der Tenor.
«Dieselben Experten haben schon vor Monaten kritisiert, dass in Russland die Geschwindigkeit in der Impfstoff-Forschung wichtiger sei als die Sicherheit. Weder der Kreml noch die zuständigen Labor-Chefs hören aber auf die Kritik.»
Show oder Durchbruch?
Der Name «Sputnik-V» ist offenbar Programm: Wie beim Rennen ums Weltall will sich Russland auch bei der Pandemiebekämpfung in die Pole Position bringen. «Natürlich geht es dem Kreml um einen Prestigeerfolg. Putin will im In- und Ausland zeigen, dass Russland eine Forschungsgrossmacht ist», sagt Nauer.
Bei der Diskussion um den russischen Corona-Impfstoff gelte es diesen «PR-Effekt» mit einzuberechnen, so der Korrespondent. «Zumal der Impfstoff frühestens Anfang nächstes Jahr für Normalbürger verfügbar sein soll.» Zunächst sollen nämlich Ärzte und Pflegepersonal geimpft werden.
Man hat den Eindruck, dass die offizielle Zulassung des Impfstoffs mehr Show als ein wirklicher Durchbruch ist.
«Es sieht so aus, als ob man mit ihnen eine Art Phase-3-Test nach der Zulassung durchführt.» So schliesst Nauer, dass auch die Russen wissen dürften, dass man den Impfstoff noch gründlich testen muss, bevor man ihn breit in der Bevölkerung einsetzt. «Man hat den Eindruck, dass die offizielle Zulassung des Impfstoffs mehr Show als ein wirklicher Durchbruch ist.»