«Die Tests des vaterländischen Impfstoffs haben eine neue Stufe erreicht», meldet das russische Staatsfernsehen in den Abendnachrichten. Im Beitrag dann ein Soldat, der als «Freiwilliger» soeben eine Dosis einer durchsichtigen Flüssigkeit verabreicht bekommen hat. «Ich fühle mich gut», sagt er. Und die Journalistin erklärt, dass – wenn alles gut geht – Russland bald einen eigenen Impfstoff gegen Covid-19 habe.
Produktion ab September
Der Optimismus des Senders passt zur Stimmung, die auch Offizielle verbreiten. Vize-Premierministerin Tatjana Golikova kündigte an, dass bereits ab September die industrielle Herstellung eines russischen Präparats beginnen soll. Moskaus Stadtpräsident Sergej Sobjanin will noch in diesem Jahr eine breite Impfkampagne starten.
Die russischen Hoffnungen beruhen vor allem auf zwei staatlichen Instituten, eines in Sibirien, das andere in Moskau. Beide Institutionen arbeiten eng mit der Armee zusammen – und greifen zuweilen auch zu unorthodoxen Methoden.
Verwandte als Versuchspersonen
«Wir testen den Impfstoff an uns selber und an unseren Verwandten», erklärte etwa Alexander Ginsburg, der Direktor des Moskauer Forschungsinstituts im Mai. Und erst kürzlich verkündete er, das Produkt seines Instituts könne schon in wenigen Wochen an Zivilisten abgegeben werden.
Hohes Tempo, massives staatliches Engagement und eine enge Einbindung militärischer Strukturen: Das sind die prägenden Merkmale des russischen Impfstoff-Programms. Der Druck kommt auch aus dem Kreml. Für Präsident Putin wäre eine baldige Zulassung eines russischen Impfstoffs nicht nur gut, weil dies die wirtschaftlichen Folgen der Epidemie abmildern würde. Es wäre auch ein Prestige-Erfolg für Russland als Forschungsgrossmacht.
«Verrückter Wettlauf» unter Forschern
An dem Vorgehen gibt es aber auch Kritik. Die russische Vereinigung klinischer Forschungsorganisationen etwa beklagte bereits im Mai «völlig unrealistische Vorgaben». Unter Forschern sei ein «verrückter Wettlauf» ausgebrochen, um der Staatsmacht zu gefallen, heisst es in einem offenen Brief.
Präsident Putin hat in einer Rede versucht, solche Bedenken zu zerstreuen. «Wir alle wünschen uns, dass eine Impfung so schnell wie möglich verfügbar ist. Aber wir müssen erst ganz sicher sein, dass ein solches Präparat wirklich wirkt, und dass es ungefährlich ist für die Gesundheit.»