Kein Land hat pro Kopf mehr Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen als Tschechien: Es sind knapp 400'000 – und das bei zehn Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern. Die Schweiz hat bislang 67'000 Ukrainerinnen und Ukrainer aufgenommen.
Und: In Tschechien arbeiten mehr als drei von vier Geflüchteten, während in der Schweiz mehr als drei von vier keine Arbeit haben. Unter dem Strich kosteten die ukrainischen Flüchtlinge den tschechischen Staat weniger, als sie an Steuern zahlten, sagt Präsident Pavel.
Anderer Umgang mit Geflüchteten
Woher kommen diese grossen Unterschiede zwischen beiden Ländern? Pavel erwähnt, dass bereits vor dem Krieg eine grosse ukrainische Community in Tschechien gelebt hatte. Deshalb sei die Integration seit dem Krieg einfacher. Auch Sprache und Kultur seien sich näher. Und er vermutet, dass das Schweizer Sozialsystem zu grosszügig sei und damit die Arbeitsanreize zu klein.
Beiden Ländern gemeinsam ist dagegen der Fachkräftemangel. Und die Ukrainerinnen und Ukrainer in der Schweiz haben oft eine gute Ausbildung. Ein Drittel hat gute Englischkenntnisse, über die Hälfte einen höheren Berufsabschluss und von diesen sind ein Viertel Ingenieure oder IT-Fachpersonal. Trotzdem sind nur wenige im Schweizer Arbeitsmarkt.
Zweifel am Schutz durch Neutralität
Tschechien hat in einer beispiellosen Aktion weltweit Artilleriemunition für die Ukraine beschafft. Abseitsstehen und hoffen, dass man verschont bleibe, ist für Präsident Pavel keine erfolgversprechende Option. Russland sehe sich nicht als Staat, sondern als eigene Zivilisation im Kampf gegen den dekadenten Westen, betont er.
Unsere Feinde unterscheiden nicht zwischen Nato, EU oder neutralen Staaten.
In der Welt tobe ein Kampf der Autokratien gegen die Demokratien. «Unsere Feinde unterscheiden nicht zwischen Nato, EU oder neutralen Staaten. Für sie sind alle Demokratien im selben Boot». Die Schweiz sei bereits jetzt Opfer von Cyberattacken und müsse sich überlegen, «ob die Neutralität das Land auch in Zukunft erfolgreich schützt», so Pavel.
Zur Debatte, wie viel Prozent des Bruttoinlandprodukts für die Verteidigung notwendig sind, hat der einst ranghöchste General der Nato eine besondere Meinung. Jedes Land müsse evaluieren, welche Ausrüstung im nationalen Kontext oder im Rahmen eines Militärbündnisses nötig sei. «Für ein Land mögen anderthalb Prozent ausreichen. Aber für ein anderes sind drei Prozent zu wenig.»
Klar ist für Pavel aber: Russland will respektiert werden. Und zwar nicht im Rahmen gegenseitiger Kooperation, «sondern basierend auf Furcht». Darauf gelte es, sich einzustellen.
Schweiz nahm 1968 viele Tschechoslowaken auf
Zwischen Tschechien und der Schweiz bestehen enge, auch emotionale Beziehungen. Als die Truppen des Warschauer Pakts im Sommer 1968 in die damalige Tschechoslowakei einmarschierten und dem sogenannten Prager Frühling ein Ende bereiteten, kam es überall in der Schweiz zu einer grossen Solidaritätsbewegung – und das über die Parteien- und Generationengrenzen hinweg.
Kein Land in Europa nahm 1968 mehr Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei auf als die Schweiz.