An Staatsbesuche ohne Händeschütteln und einem Lächeln hinter Masken müssen sich der ukrainische Präsident und die Schweizer Bundespräsidentin erst noch gewöhnen. Umso überschwänglicher waren die Worte, welche Wolodimir Selenski anlässlich des Besuchs fand.
Noch bevor die Gespräche begonnen hatten, erklärte er den Besuch als historisch. In der Tat ist Simonetta Sommaruga die erste Bundespräsidentin, welche der Ukraine in ihrer Rolle als Mitglied der Landesregierung einen Staatsbesuch abstattet.
Zu früh für historische Vergleiche
Ob dem Besuch von Sommaruga allerdings auch inhaltlich die Bezeichnung «historisch» zusteht, wird sich erst am Donnerstag zeigen, nach dem gemeinsamen Besuch mit Selenski im Donbas. Denn im Kern bleibt dies nach wie vor das grösste Hindernis für die Ukraine auf dem Weg in eine bessere Zukunft.
Die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern mag grosses Potenzial haben, doch so lange es keine Lösung des Konflikts in der Ostukraine gibt, wird der wirtschaftliche Aufschwung immer ausgebremst bleiben.
Anhaltend wichtige Rolle der Schweiz
Vorweg ist es Sommaruga hoch anzurechnen, dass sie trotz Pandemie an ihren Reiseplänen in die Ukraine festgehalten hat. Die Reise musste wegen der Pandemie um mehrere Monate verschoben werden. Auch der Schweizer Hilfskonvoi ist in diesen Tagen im Osten der Ukraine später als geplant unterwegs. Dementsprechend überzeugend war Sommaruga in ihrer Aussage, dass die Schweiz sich weiterhin für eine friedliche Lösung des bewaffneten Konflikts engagieren wolle.
Die Schweiz liefert nicht nur seit 2014 jährlich Hilfsgüter, die mehreren Millionen Menschen den Zugang zu sauberem Trinkwasser garantieren, sondern spielt auch auf diplomatischer Ebene nach wie vor eine Rolle. Mit Heidi Grau nimmt seit Beginn des Jahres eine Schweizer Diplomatin als OSZE-Sondergesandte für die Ukraine eine Schlüsselrolle für die friedliche Lösung des Konflikts ein.
An der Medienkonferenz unerwähnt blieb allerdings die empfindlich geschwächte Position der OSZE seit dem Eklat von vergangener Woche mit der Abwahl der gesamten OSZE-Spitze, darunter dem Generalsekretär Thomas Greminger.
Verlässliche Freunde
Militärische Ehren zur Begrüssung und die freundlichen Worte des ukrainischen Präsidenten können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich am Status quo in der Ostukraine erst dann etwas nachhaltig verändern wird, wenn dem Kreml danach ist. Solange das Machtvakuum in den Regionen Luhansk und Donezk für Russlands Präsidenten Wladimir Putin mehr Vorteile als Nachteile bringt, wird sich nichts Grundlegendes an der Situation ändern.
Doch in der Zwischenzeit kann die Ukraine jeden verlässlichen Partnerstaat an ihrer Seite gut gebrauchen. Sommaruga hat recht, wenn sie sagt, dass es höchste Zeit wurde, dass nach 30 Jahren Unabhängigkeit der Ukraine endlich ein bilateraler Besuch auf höchster Ebene mit der Schweiz zustande kam.