Südkorea kommt nicht zur Ruhe, seit der unterdessen abgesetzte Präsident Yoon Suk Yeol vor einem Monat das Kriegsrecht ausgerufen hat. Das Parlament hat diesen Entscheid zwar rückgängig gemacht und Yoon seines Amtes enthoben. Doch dieser widersetzt sich bisher den Strafverfolgungsbehörden und hat sich in seinem Amtssitz verschanzt. Ein Versuch, ihn zu verhaften, ist am Freitag gescheitert. Martin Fritz, Südkorea-Kenner und freier Journalist aus Tokio, schätzt die Ereignisse in Südkorea ein.
SRF News: Warum schaffen es die südkoreanischen Behörden nicht, den abgesetzten Präsidenten zu verhaften?
Martin Fritz: Yoon wird derzeit von der Präsidentengarde und von Wachsoldaten für das militärische Gelände des Verteidigungsministeriums, auf dem sich der Amtssitz von Yoon befindet, geschützt. Die einzige Zufahrtsstrasse zu diesem Amtssitz wurde am Freitag von Fahrzeugen der Garde und der Wachsoldaten blockiert. Da kommt die Polizei nicht gegen an.
Yoon war früher Generalstaatsanwalt von Südkorea und kennt natürlich alle juristischen, verfahrenstechnischen Tricks und Kniffe.
Der Chef der Präsidentengarde hat heute in einem Interview noch einmal betont, dass seine Garde neutral sei. Es gebe aber noch rechtliche Unklarheiten bei diesem Haftbefehl und deshalb könne er die Polizei nicht zu Yoon durchlassen.
Tatsächlich hat Yoon Suk Yeol juristische Schritte gegen die Behörde angekündigt. Mit welchen Absichten?
Yoon war früher Generalstaatsanwalt von Südkorea und kennt natürlich alle juristischen, verfahrenstechnischen Tricks und Kniffe. Ich denke, mit den angekündigten Beschwerden gegen die Behörde will er die Mitarbeiter einschüchtern und auch bei seinen Anhängern Zweifel daran wecken, dass der südkoreanische Rechtsstaat funktioniert und neutral handelt.
Heute haben seine Rechtsanwälte aber eine schnelle Abfuhr erhalten. Sie hatten bei einem Gericht in Seoul eine Beschwerde eingereicht, dass dieser Haftbefehl illegal und ungültig sei. Das Gericht hat diese Beschwerde abgelehnt.
Der Haftbefehl gegen den abgesetzten Präsidenten läuft am Montag ab. Was ist bis dahin zu erwarten?
Ich kann nicht ausschliessen, dass sie morgen noch einen zweiten Versuch unternehmen, diesen Haftbefehl zu vollstrecken. Aber die Behörde hat sich schon am Freitag entschuldigt, dass sie das nicht geschafft hat und auch keinen zweiten Versuch angekündigt. Das macht auf mich den Eindruck, als ob man die Krise lieber mit den Mitteln des Rechtsstaates aufarbeiten will.
Das Timing dieser Krise ist sehr schlecht.
Das heisst, der Haftbefehl läuft morgen Mitternacht erst einmal ab. Das Augenmerk wird sich dann auf die erste Anhörung des Verfassungsgerichts zur Amtsenthebung am 14. Januar konzentrieren. Yoon hat angekündigt, an dieser Anhörung teilzunehmen. Es könnte sein, dass sich die Korruptionsermittler erst einmal zurückhalten und Yoons Auftritt abwarten.
Die Staatskrise in Südkorea dauert bereits einen Monat. Was bedeutet das für das Land?
Das Verfassungsgericht wird bis Februar vier solcher Anhörungen abhalten und hat dann sechs Monate Zeit, um das Verfahren abzuschliessen. Das heisst aber nicht, dass die Regierung handlungsfähig ist. Das Timing dieser Krise ist aber sehr schlecht. Denn wenn Trump in zwei Wochen wieder ins Weisse Haus einzieht, könnte Südkorea nicht glaubwürdig auf seine mutmasslichen Forderungen etwa nach höheren Verteidigungslasten in der Allianz antworten.
Auch die Halbleiter- und die Autoindustrie könnten durch neue Zölle unter Druck kommen. Investmentbanken rechnen bereits für dieses Jahr mit weniger Wachstum in Südkorea. Das sind also keine guten Aussichten für das Land.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.