Nachdem die Sterbekapsel Sarco im September in Schaffhausen zum ersten Mal zum Einsatz gekommen war, wurden mehrere Personen der Organisation verhaftet und es wurde ein Strafverfahren eröffnet. Damit wurde die Diskussion über Sterbehilfe und deren liberale Regelung in der Schweiz neu lanciert. Marion Schafroth, die Präsidentin der Schweizer Sterbehilfeorganisation Exit, sagt im Interview, welche Auswirkungen sie von dieser Debatte erwartet.
SRF: Die Sterbekapsel Sarco hat die Debatte rund um die Sterbehilfe neu angefacht. Was finden Sie gut an der Diskussion, was vielleicht weniger?
Marion Schafroth: Gut finde ich, dass wir in der Schweiz dazu eine offene, tabulose Debatte führen können. In Kombination mit der laufenden rechtlichen Untersuchung wird sich so herauskristallisieren, ob und unter welchen Prämissen Sarco in der Schweiz als alternative Möglichkeit der assistierten Suizidhilfe zulässig ist. Bedauerlich finde ich, dass die Promotoren von Sarco zur Klärung dieser Frage ein provokatives, abstossend unsensibles und effekthascherisches Vorgehen gewählt haben.
Wo liegen die Hauptunterschiede zwischen der Sterbehilfe, wie sie Exit anbietet, und den Vorstellungen der Sarco-Erfinder?
Soweit ich das bei der bis jetzt immer noch recht intransparenten Situation beurteilen kann, komme ich zu folgendem Schluss: Die Sarco-Erfinder stellen das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen maximal in den Vordergrund und verlangen als einzige Bedingung die psychiatrisch bestätigte Urteilsfähigkeit.
Exit unterstützt und begleitet eine Person mit Sterbewunsch, wenn immer möglich unter Einbezug der engsten Angehörigen oder Freunden. Und das von Exit verwendete Sterbemittel Na-Pentobarbital muss von einem Arzt verschrieben werden. Also sind immer zwingend im Vier-Augen-Prinzip mindestens zwei fachlich kompetente Personen involviert. Dabei achten wir das Selbstbestimmungsrecht, vernachlässigen aber nicht das Fürsorgeprinzip. Dieser Weg der Abklärung und Vorbereitung garantiert, dass Alternativen besprochen wurden, dass somit die wichtigen Kriterien der Wohlerwogenheit, Dauerhaftigkeit und Autonomie des Sterbewunsches erfüllt sind.
Für die meisten Menschen ist es eine eher abschreckende Vorstellung, in einer Kapsel eingeschlossen (...) zu sterben.
Sie sagen, dass Sie in der Schweiz nicht mit einer grossen Nachfrage für die Sterbekasel rechnen. Warum?
Weil es für die meisten Menschen eine eher abschreckende Vorstellung ist, in einer Kapsel eingeschlossen und physisch getrennt von Angehörigen zu sterben. Bestünde eine freie Wahlmöglichkeit zwischen Sarco und dem ruhigen, schmerzlosen Einschlafen im eigenen Bett nach Einnahme von Na-Pentobarbital, so gehe ich davon aus, dass letzteres bevorzugt wird.
Bereits gibt es Vorstösse in der Politik, die die Kapsel verbieten wollen, die Sterbehilfe stärker mit Gesetzen regeln wollen. Sie sind darüber nicht glücklich, warum?
Ich gehe davon aus, dass jegliches Spezialgesetz betreffend Suizidhilfe gegenüber der heutigen liberalen Situation zu Einschränkungen führen würde.
Kritiker befürchten, dass mit der liberalen Sterbehilfepraxis in der Schweiz der Druck auf alte und kranke Menschen steigt, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Wie gross ist diese Gefahr?
Die Erfahrung zeigt: Diese Furcht ist unberechtigt. Jeder einzelne Mensch hängt am Leben, solange es subjektiv noch genügende Qualität bietet und lässt sich nicht einfach unter Druck setzen. Im Gegenteil: Alte und kranke Menschen müssen sich die Zustimmung oder zumindest Akzeptanz ihres Umfelds oft in langen Gesprächen erkämpfen.