Dieses Tête-à-Tête hat Geschichte geschrieben: Dass Valéry Giscard d’Estaing 1974 letztlich mit einem hauchdünnen Vorsprung die Stichwahl gegen François Mitterand für sich entscheidet, wird einem einzigen Satz zugeschrieben. Einer Aussage nämlich, die er damals im Fernsehduell macht: «Ich finde es immer anstössig und beleidigend, sich das Monopol des Herzens herauszunehmen. Sie haben es nicht, Herr Mitterand, das Monopol des Herzens.»
Seit Giscards «Monopol des Herzens» weiss man: Kandidaten bereiten sich für die TV-Debatte minutiös vor. Denn es gewinnt, wer die besseren Pointen hat. Wer den Gegner im Ring verbal in die Seile drängt. «Seit 1974 ist dieses Fernsehduell aus dem französischen Wahlkampf nicht mehr wegzudenken», sagt SRF-Frankreich-Korrespondentin Alexandra Gubser. Die einzige direkte Konfrontation zwischen dem Amtsinhaber und dem Herausforderer stösst in der «Grande Nation» auf grosses Publikumsinteresse. «2017 waren es immerhin 16.5 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer.»
Die Macht des gesprochenen Wortes
Dass die Macht des gesprochenen Wortes einen Kontrahenten in die Knie zwingen kann, haben vergangene Fernsehduelle immer wieder vor Augen geführt. Etwa jenes von 2012, als François Hollande den damals amtierenden Präsidenten Nicolas Sarkozy auf Rang zwei verweist. «Ich als Präsident der Republik bin nicht Chef der Mehrheit. Ich als Präsident empfange deren Parlamentarier nicht im Elysée. Ich als Präsident bezeichne meinen Premier nicht als ‹Untergebenen›.» Insgesamt 15 Mal benutzt er die Formulierung «Ich als Präsident» – und hat das Publikum schliesslich auf seiner Seite.
Wenn nun Marine Le Pen und Emmanuel Macron vor die Kamera treten, kommen Erinnerungen an ihre TV-Begegnung von 2017 hoch. Damals noch unter der Flagge des «Front National» versucht Le Pen, Macron zu provozieren und greift ihn persönlich an. So aggressiv wie unvorbereitet geht sie in der Debatte unter. «Sie wird sich hüten, denselben Fehler wie von vor fünf Jahren zu wiederholen», sagt Alexandra Gubser. Nun werde sich die 53-jährige, rechtspopulistische Kandidatin des «Rassemblement National» staatsmännisch geben und vor allem dossiersicherer. «Sie wird ihre Imagekampagne weiterführen.»
Le Pen wird sich hüten, denselben Fehler wie von vor fünf Jahren zu wiederholen.
Macron und Le Pen werden sich in die Enge treiben wollen
Die Frage ist nun, wie sich der 44-jährige Macron schlagen wird. «2017 war Macron praktisch ein unbeschriebenes Blatt», sagt Gubser. Der proeuropäische Mitte-Politiker habe Le Pen auflaufen lassen können. «Heute ist er Präsident und es besteht die Gefahr, dass er gegenüber Le Pen belehrend auftritt.» Allerdings seien solche Begegnungen die Paradedisziplin des Vertreters von «La République en Marche!». «Bei seiner letzten grossen Diskussion, an der ‹Grand Débat› 2019, seiner ‹Tour de France› mit Hunderten Bürgergesprächen, hatte Macron Freund und Feind beeindruckt, da er auf jede Frage eine detailreiche Antwort parat hatte.»
Es besteht die Gefahr, dass Präsident Macron gegenüber Le Pen belehrend auftritt.
Klar ist: Höflich, aber bestimmt werden sich die beiden Kandidierenden unter anderem bei Themen wie Kaufkraft, Immigration, Rente und EU in die Enge treiben wollen. Gubser: «Le Pen wird Macrons Bilanz infrage stellen, Macron wird Le Pen bei internationalen Fragen ans Kreuz nageln wollen.»
Die Spannung im Schlussspurt um die Stichwahl steigt: Laut Umfragen steht der amtierende Präsident derzeit bei 54.5 bis 56.5 Prozent der Stimmen, seine Herausforderin bei 43.5 bis 45.5 Prozent (Stand Dienstag). Ob auch dieses TV-Duell die Wählergunst beeinflussen wird, zeigt sich spätestens in vier Tagen.