An der Strandpromenade im Zentrum von Tel Aviv erstarren die Menschen an diesem späten Nachmittag kurz. Eben war eine gewaltige Explosion zu hören. «Ja, ich habe sie gehört», sagt Moti. Der Rentner kommt aus Bat Yam bei Tel Aviv. Er starrt auf sein Handy. «Es war ein extrem lauter Knall.»
Unsere arabischen Nachbarn wollen uns nicht hier.
Weil keine Warnsirene ertönte, ist Moti überrascht zu hören, dass es eine Rakete der Hamas aus Gaza war, die vor der Küste Tel Avivs explodierte. «Sie sind böse und gnadenlos, wie der IS, wie die Nazis», sagt Moti. «Unsere arabischen Nachbarn im Nahen Osten behandeln uns Juden wie ein Krebsgeschwür. Sie wollen uns nicht hier.»
Das mache es ihm schwer, Mitleid mit der Zivilbevölkerung von Gaza zu haben. Klar schmerze es ihn, weinende Frauen und verletzte Kinder zu sehen. Aber Mitleid sei gefährlich, sagt Moti in Anlehnung an ein Bibelzitat. «In Israel sagen wir: Wer Mitgefühl mit dem Bösen zeigt, wird das Böse doppelt erleiden.»
Mehr zum Krieg im Gazastreifen sagt Moti nicht. Und die Berichte über mutmassliche Misshandlung und Vergewaltigung von Palästinensern in israelischen Gefängnissen regen ihn auf. Diese Vorwürfe seien erfunden. «Die ganze Welt hört das jetzt, dabei haben sie unsere Frauen und Töchter vergewaltigt und umgebracht. Und jetzt sind wir plötzlich die Vergewaltiger?!»
Der Schrecken über die Explosion vor der Küste Tel Avivs ist vorbei. Für viele ist das Alltag. Selbst für eine Jüdin aus Argentinien, die nur zweimal im Jahr nach Israel kommt, um Freiwilligenarbeit zu leisten. «Ich dachte, es sei eine Rakete, aber weil ich nichts sah und keine Sirene hörte, dachte ich, alles sei gut.»
Dass die Hamas nach zehn Monaten Krieg noch immer Raketen auf Israel feuern kann, erschwere es ihr, Mitgefühl mit der Zivilbevölkerung von Gaza zu haben. «Der Feind, also die Hamas, foutiert sich um die eigene Bevölkerung. Warum sollte ich also Mitgefühl haben, wenn es nicht einmal die Führung dieses Volkes hat?»
Sie müsse sich zuerst um ihre eigenen Leute kümmern, also um die Jüdinnen und Juden, welche Israel verteidigten, sagt die jüdische Argentinierin, die ihren Namen nicht nennen will. Sie wolle nicht unmenschlich sein, aber sie bange um Israels Sicherheit.
Die Diskussion in Israel ist voller Wut und Hass, die uns nicht weiterbringen. Wir müssen anders miteinander reden.
Auch bei Emily geht die Angst tief. Die Therapeutin aus Tel Aviv ist Anfang 30, sie sitzt alleine auf einer Wiese bei der Strandpromenade und erzählt, wie sehr sie die Explosion eben erschreckt hat. «An eine Rakete habe ich nicht gedacht, aber ich erschrecke bei jedem Geräusch. Der Wind, ein Motorrad, das vorbeifährt, oder kürzlich, als ein Bauarbeiter Löcher in die Wand bohrte, dachte ich, es seien Schüsse.»
Diese Angst werde von der Politik und den Medien benutzt, um Wut zu schüren, sagt Emily weiter. Sie wisse das aus ihrer Zeit als Produzentin bei einem israelischen Fernsehsender. Sie habe Angst und wisse auch nicht, wie ihr Land aus diesem Krieg herauskomme.
Was den Krieg angeht, sagt Emily: «Jeden Morgen denke ich als Erstes an die Geiseln im Gazastreifen, vor allem an die jungen Frauen und die Mädchen.»
So geht es den meisten Israeli. Solange die Hamas Geiseln im Gazastreifen festhält, gibt es in Israel kaum Widerstand gegen unmenschliche Äusserungen gegenüber Palästinenserinnen und Palästinensern.