- Im Prozess um die Tötung des Afroamerikaners George Floyd hat das zuständige US-Gericht eine Haftstrafe von 22.5 Jahren gegen den verurteilten weissen Ex-Polizisten Derek Chauvin verhängt.
- Das verkündete das Gericht in Minneapolis.
- Im April hatten die Geschworenen Chauvin in allen Anklagepunkten für schuldig befunden. Der schwerwiegendste Anklagepunkt lautete Mord zweiten Grades ohne Vorsatz.
- Die Verteidigung hatte eine Bewährungsstrafe für den 45-Jährigen gefordert, die Staatsanwaltschaft dagegen 30 Jahre Haft.
Kurz vor der Strafmassverkündung gegen Chauvin meldeten sich mehrere Angehörige Floyds vor Gericht zu Wort und forderten die Höchststrafe für den Ex-Polizisten. Er dürfe nicht mit einem blauen Auge davonkommen, mahnten sie. Floyds Neffe, Brandon Williams, sagte: «Unsere Familie ist für immer zerbrochen.»
Floyds Bruder Philonise sagte unter Tränen, er habe seit dessen Tod keine Nacht ruhig schlafen können, weil er von Alpträumen geplagt sei und den gewaltsamen Tod seines Bruders immer und immer wieder vor sich sehe. Floyds kleine Tochter Gianna sagte per Videobotschaft an ihren Vater gerichtet: «Ich vermisse dich und liebe dich.»
Keinerlei Regung von Chauvin
Auch Chauvins Mutter, Carolyn Pawlenty, äusserte sich emotional und sagte mit brüchiger Stimme, die Öffentlichkeit kenne nur ein Zerrbild ihres Sohnes. Dieser sei ein guter Mensch: liebevoll, fürsorglich, ehrenhaft und selbstlos. «Er hat ein grosses Herz.» An ihren Sohn gerichtet sagte Pawlenty: «Ich habe immer an deine Unschuld geglaubt und werde davon niemals abrücken.»
Chauvin, in hellgrauem Anzug und mit Gesichtsmaske, liess während der Wortmeldungen nach aussen hin keine Regung erkennen. Er äusserte sich nur knapp: «Ich möchte der Familie Floyd mein Beileid aussprechen», sagte er. Wegen eines gerichtlichen Bundesverfahrens und einer möglichen Berufung könne er zurzeit keine vollständige Stellungnahme abgeben. Er hatte in dem Prozess die Aussage verweigert.
Biden nennt Urteil «angemessen»
US-Präsident Joe Biden begrüsste die Haftstrafe am Freitag in einer ersten Reaktion. Er kenne zwar nicht alle Umstände, die berücksichtigt worden seien. Das Strafmass erscheine ihm aber «angemessen».
Die Anwälte der Floyd-Familie zeigten sich mit dem Strafmass zufrieden und sprachen von einem «historischen Schuldspruch». Einige Mitglieder der Familie äusserten dagegen Enttäuschung. Das Urteil sei zu milde ausgefallen.
Der afroamerikanische Bürgerrechtler Al Sharpton betonte, das Strafmass sei kein Grund, zu feiern. Gerecht wäre nur die Höchststrafe gewesen. Sharpton war auf Wunsch der Familie Hauptredner auf der Trauerfeier für George Floyd im August 2020.
Grösste Protestbewegung seit Jahrzehnten
Floyd war am 25. Mai vergangenen Jahres in Minneapolis bei einem brutalen Polizeieinsatz ums Leben gekommen. Beamte nahmen den 46-Jährigen fest, weil er eine Schachtel Zigaretten mit einem falschen 20-Dollar-Schein bezahlt haben soll. Videos von Passanten dokumentierten, wie Polizisten den unbewaffneten Mann zu Boden drückten. Chauvin presste dabei sein Knie gut neun Minuten lang auf Floyds Hals, während dieser immer wieder flehte, ihn atmen zu lassen. Floyd verlor das Bewusstsein und starb wenig später.
Die Videoclips der Szene verbreiteten sich damals rasant. Floyds Tod wühlte die USA auf. Er clöste mitten in der Corona-Pandemie eine Welle an Demonstrationen gegen Rassismus und Polizeigewalt aus, die sich zur grössten Protestbewegung seit Jahrzehnten auswuchsen. Der Prozess gegen Chauvin wurde live auf vielen Fernsehkanälen übertragen. Die Erwartungen an das Verfahren waren immens.