Alles, was in einem Land im Alltag normalerweise funktioniert, kommt in Grossbritannien in diesen Tagen und Wochen zum Erliegen. Der Adventskalender der Arbeitsniederlegungen, den die BBC täglich verliest, wird immer länger.
Jüngst kündigten die Pflegefachkräfte in Nordirland und das Eisenbahnpersonal an, ihre Arbeit niederzulegen.
Weihnachtsgeschenke verschicken oder mit der Bahn über die Festtage die Familie besuchen, könnte dieses Jahr schwierig werden. Verunfallen sollte man auch nicht, denn auch die Ambulanzfahrerinnen und -fahrer wollen streiken. Und in den Ankunftshallen der grossen Flughäfen droht das Chaos, weil über Weihnachten auch die Grenzbeamten ihre Arbeit niederlegen.
Personal kämpft mit steigenden Preisen
Ist diese Bescherung wirklich nötig? Darf man ein ganzes Land in Geiselhaft nehmen, um seine Lohnforderungen durchzusetzen?
Der Streik sei leider unvermeidlich, sagt Gewerkschaftschef Mick Lynch gegenüber dem Sender Sky: «Die aktuelle Lohnpolitik ist eine Geringschätzung der britischen Angestellten. Wir haben eine Inflation von elf Prozent, und die Leute wissen nicht mehr, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen.» Ohne Lohnerhöhungen würden die Leute in die Armut getrieben.
«Wir verlangen nichts anders, als dass die Löhne den steigenden Lebenskosten angepasst werden. Die Aufgabe der Gewerkschaften ist es, Ungerechtigkeiten zu korrigieren und das letzte Mittel dazu ist der Streik», betont Lynch.
Premier Sunak droht mit Streikverbot
Tatsächlich treiben die steigenden Preise für Lebensmittel und Gas immer mehr Leute an die Armutsgrenze. Eine Pflegefachfrau schilderte Radio SRF kürzlich, dass sie mit ihrem Gehalt ihre Familie nicht mehr ernähren könne und auf Lebensmittelspenden angewiesen sei. Eine Mehrheit der Britinnen und Briten hat deshalb im Moment gemäss Umfragen durchaus Verständnis für die Arbeitsniederlegungen.
Trotzdem bewegen sich die Gewerkschaften auf einem schmalen Grat. Wenn sie die Öffentlichkeit zu arg drangsalieren, könnte die Stimmung rasch kippen.
Bereits am Ende mit seiner Geduld ist Premierminister Rishi Sunak. Im Parlament liess er die Gewerkschaften letzte Woche seinen Zorn spüren: «Wenn die Gewerkschaftsführer weiterhin stur bleiben, dann ist es meine Aufgabe als Premierminister, den Alltag der Britinnen und Briten zu schützen.» Seine Regierung erarbeite deshalb einen Gesetzesentwurf, der Streiks in systemrelevanten Unternehmen wie der Bahn oder im Gesundheitsdienst verbieten würde.
Ein solches Gesetz noch dieses Jahr durchs Parlament zu bringen, ist ziemlich illusorisch. Das weiss der Premierminister, aber er muss handeln. Denn wenn Weihnachten im Chaos versinkt, wird die Öffentlichkeit jemanden dafür verantwortlich machen. Wie das Machtspiel zwischen Gewerkschaften und Regierung ausgehen wird, ist zur Stunde noch ziemlich offen. Eine Geduldsprobe für die Bevölkerung wird es auf jeden Fall.