Was ist geschehen? Ein Mob hat in der brasilianischen Hauptstadt Brasilia das Regierungsviertel gestürmt. Tausende Anhängerinnen und Anhänger des ehemaligen rechtspopulistischen Präsidenten Jair Bolsonaro nahmen das Kongress-Gebäude, den Obersten Gerichtshof und den Präsidentenpalast in Beschlag. Inzwischen sollen die Sicherheitskräfte die Situation unter Kontrolle haben.
Gibt es Parallelen zum Sturm aufs Kapitol in Washington? Die Ähnlichkeiten der beiden historischen Ereignisse sind frappant: Symbolträchtige Gebäude, die für Demokratie und rechtsstaatliche Strukturen stehen, werden gestürmt. Beide Male spielen abgewählte, rechtspopulistische Präsidenten eine elementare Rolle.
Die antidemokratischen Handlungen sind direkt auf die Rhetorik der Bolsonoraristen zurückzuführen.
Auch Eduardo Jorge de Oliveira sind die Ähnlichkeiten aufgefallen. Der Professor für Brasilianistik an der Universität Zürich sagt: «Der Sturm aufs Kapitol war das erste, woran ich gedacht habe.» So sei eine «kriegerische Logik», welche derjenigen von Donald Trump ähnelt, von Bolsonaro kopiert worden. Er betont: «Die antidemokratischen Handlungen, wie sie in Brasilien genannt werden, sind direkt auf die Rhetorik der Bolsonoraristen zurückzuführen.»
In welcher Hinsicht unterscheiden sich die Ereignisse? Ganz deckungsgleich seien die beiden Ereignisse jedoch nicht. «Die brasilianische Kopie hat ihre eigene Dynamik», sagt de Oliveira. Vor allem gehe sie von lokalen Sektoren aus. Das bedeutet: Die Rhetorik Bolsonaros spricht unter anderem die unteren Ränge des Militärs an.
So wurden vor dem Sturm auf das Regierungsviertel auch die Wachen des Bundesbezirks «gelockert, sodass die Menschenmenge in den Palast des Planaltos, also den Regierungssitz, eindringen konnte». Zudem betont de Oliveira auch im Zusammenhang mit den Unruhen vom vergangenen Spätherbst: «Der Gouverneur von Brasilia ist ein Bolsonarist. Das heisst, es gibt militärische Sektoren, die mit Mitteln aus dem Privatsektor verbündet sind, um die Demonstranten seit November auf den Strassen zu halten.»
Welche Rolle spielen die extremen Rechten? Hier kann die Verbindung direkt zur rechtspopulistischen Bewegung von Donald Trump gezogen werden. So hat Steve Bannon, ehemaliger Berater und Chefstratege des Weissen Hauses, den Wahlkampf von Jair Bolsonaro im Jahr 2018 massgeblich geprägt. Damals bezeichnete Bannon Bolsonaro als «Figur wie Donald Trump».
Dass Bannon Teil von Bolsonaros Wahlequipe gewesen sei, bestreitet dieser. Trotzdem hat Bannon immer wieder betont, dass die Wahl in Brasilien nicht korrekt abgelaufen und Lula nicht der rechtmässige Präsident sei. Damit schlägt Bannon in die gleich Kerbe wie andere rechtsextreme Figuren wie beispielsweise Ali Alexander, welcher aufgefordert hatte, die brasilianische Regierung und Justiz zu stürzen.
Werden solche Ereignisse nun öfter vorkommen? «Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten sind eine grosse Gefahr für die Demokratie», betont de Oliveira. Demokratien seien bedroht, etwa in Europa, aber auch in Lateinamerika.
Die Abstände zwischen den Erstürmungen von Parlamenten durch demonstrierende Menschen werden immer kürzer.
Klar ist aber auch: Die Geschichte von Erstürmungen von Parlamentsgebäuden reicht bis in die Antike. Die Neuartigkeit der Ereignisse widerspiegelt sich dementsprechend auch nicht darin, dass sie passieren, sondern in ihrer kürzer werdenden Abfolge. So schreibt der Historiker Matthias Miller: «Die Abstände zwischen den Erstürmungen von Parlamenten durch demonstrierende Menschen werden immer kürzer.»