Viele sind sie nicht an diesem bitterkalten Januarabend in Washington. Dafür sind sie umso beseelter. Sie rufen «USA, USA» und «Gerechtigkeit für alle!». Damit meinen sie die Verurteilten des «Jan6», wie sie hier den Sturm aufs Kapitol nennen.
Über 1100 Schuldsprüche fällte die US-Justiz bisher. Mehr als 600 schuldig Gesprochene wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt. Die Spanne der Haftstrafen reicht von wenigen Tagen bis zu 22 Jahren – letzteres für den Kopf der militanten «Proud Boys».
Protest und Gegendemonstration
Seitdem versammelt sich eine kleine Gruppe von Angehörigen und Unterstützern der Verurteilten vor dem Zentralgefängnis Washingtons. Tag für Tag, Abend für Abend.
Auf der Strassenseite gegenüber macht sich eine noch kleinere Gruppe zur Gegendemonstration bereit. Sie ist nicht weniger beseelt. «Verräter, Verräter», rufen sie in ihre Megafone. Ja, sie schreien es, krächzen es. Und sie tun es mit einem Ausdruck, der eines verrät: Hass, puren Hass. Es ist das Vermächtnis des 6. Januar 2021.
Trumps «politische Gefangene»
Der gewählte neue US-Präsident Donald Trump nennt die Kapitolstürmer wahlweise «Krieger», «unvergleichliche Patrioten», oder «politische Gefangene». Im Wahlkampf versprach er, sie zu begnadigen – ohne im Detail zu erklären, wie viele, und wen genau.
Die müssen alle begnadigt und freigelassen werden.
Die Handvoll vor dem Washingtoner Gefängnis geht davon aus, dass Trump alle meint. «Wenn Joe Biden all die Kriminellen, Vergewaltiger und Mörder begnadigen kann, weshalb soll Trump diese Jungs nicht begnadigen?», sagt David, der extra aus St. Louis, Missouri angereist ist. Er deutet auf die Gefängnismauern nebenan: «Die müssen alle begnadigt und freigelassen werden.»
Die Wahllüge lebt weiter
John ist aus Pittsburgh, Pennsylvania, nach Washington gereist. Er pflichtet David bei. Für ihn sind die verurteilten Kapitolstürmer Helden: «Sie wehrten sich, als unsere Freiheit und die Wahlen gefährdet waren. Du weisst schon: Wir wollten nur freie und faire Wahlen.»
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Bild 1 von 16. Am 6. Januar 2021 war der US-Kongress in Washington zusammengekommen, um Joe Bidens Sieg bei der Präsidentenwahl offiziell zu bestätigen. Eigentlich eine Formalie, doch der Tag sollte als einer der schwärzesten in die jüngere amerikanischen Geschichte eingehen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 2 von 16. Wahlverlierer Donald Trump sah die Zusammenkunft als letzte Chance, sich gegen seine Niederlage aufzulehnen. Seine über Monate orchestrierte Kampagne, die Wahl als Betrug darzustellen, fand hier ihren vorläufigen Höhepunkt. Bildquelle: Keystone.
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Bild 3 von 16. Trump hatte seine Anhänger dazu aufgerufen, an dem Tag in die US-Hauptstadt zu kommen. Bei einer Rede beim Weissen Haus stachelte er seine Anhänger dazu an, zum Kapitol zu marschieren und gegen seine Abwahl zu protestieren. Bildquelle: Keystone.
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Bild 4 von 16. Tausende Anhänger kamen der Forderung des Präsidenten nach. Sie strömten zum Kapitol, wo es zu zahlreichen Ausschreitungen mit Sicherheitskräften kam. Bildquelle: Keystone.
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Bild 5 von 16. Viele Teilnehmer erschienen in Kampfmontur. Auch rechtsextreme Gruppierungen wie die «Proud Boys» nahmen an der Attacke teil. Bildquelle: Keystone.
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Bild 6 von 16. Zahlreiche Trump-Supporter konnten ins Kapitol eindringen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 7 von 16. Die Anhänger erreichten beim Sturm auch die zentrale Rotunde. Die Rotunde ist der runde Bauteil des Kapitols in Washington, der sich unterhalb der Kuppel befindet und ist der grösste Bauteil des Gebäudes. Bildquelle: Keystone.
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Bild 8 von 16. Der «QAnon-Schamane» Jacob Chansley wurde zu einer der bekanntesten Figuren des Kapitol-Angriffs. Chansley wurde mittlerweile zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Bildquelle: Reuters.
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Bild 9 von 16. Ausserhalb des Kapitols wurden verschiedene Medienvertreter vom wütenden Mob angegriffen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 10 von 16. Dieser Mann drang bis ins Büro von Sprecherin Nancy Pelosi vor. Bildquelle: Keystone.
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Bild 11 von 16. Bange Stunden: Im Sitzungssaal mussten Abgeordnete und deren Mitarbeiter in Deckung gehen. Später wurden sie von Sicherheitskräften aus dem Saal gebracht. Bildquelle: Keystone.
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Bild 12 von 16. Polizeibeamte blockierten den Eingang zum Sitzungssaal. Eine Trump-Anhängerin starb, nachdem sie von einem Beamten der Capitol Police angeschossen wurde. Bildquelle: Keystone.
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Bild 13 von 16. Nach etwas mehr als drei Stunden konnten Sicherheitskräfte die Lage unter Kontrolle bringen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 14 von 16. Am Abend konnte der Kongress seine Sitzung fortsetzen. Vizepräsident Mike Pence bestätigte schliesslich den Wahlsieg Joe Bidens. Bildquelle: Keystone.
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Bild 15 von 16. Die Opfer: Der Polizeibeamte Brian Sicknick erlitt bei dem Angriff zwei Schlaganfälle und starb zwei Tage später im Krankenhaus (Hier im Bild: Die Zeremonie für den 42-Jährigen im Februar). Im Nachgang der Ereignisse nahmen sich vier Polizisten, welche am 6. Januar im Einsatz waren, das Leben. Bildquelle: Keystone.
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Bild 16 von 16. Über 700 Menschen wurden bisher für ihre Teilnahme am Sturm aufs Kapitol festgenommen und angeklagt. Mehr als 70 von ihnen erhielten teils mehrjährige Haftstrafen. Bildquelle: Keystone.
Es ist die Lüge von der gestohlenen Wahl, damals, 2020, als Joe Biden gegen Donald Trump gewann und dieser sich weigerte, die Niederlage anzuerkennen. Trump tut es bis heute.
Der enttäuschte Polizist
Aquilino Gonell war am 6. Januar 2021 im Dienst. Der Sergeant der Kapitolspolizei wurde später von Präsident Biden mit einer Medaille geehrt. Trumps Pläne hält Gonell für Betrug an ihm und seinen Kollegen: «Wir haben dieses Jahr eine friedliche Machtübergabe, weil Donald Trump nicht derjenige an der Macht ist», stellt er fest.
Wir haben am 6. Januar 2021 die Demokratie bewahrt – für wie lange, ist ungewiss.
Gonell kommt seit seinem Abschied vom Polizeikorps ungern zum Kapitol. Heute aber macht er eine Ausnahme. «Wir haben am 6. Januar 2021 die Demokratie bewahrt. Für wie lange? Wir wissen es nicht.»
Fakten zählen nicht
Vor dem Gefängnis verkündet John aus Pittsburgh, am 6. Januar 2021 habe keine einzige Person das Kapitol gestürmt: «Die wurden alle reingelassen».
Die Bilder vom 6. Januar 2021 widerlegen das. Eine Untersuchungskommission des Repräsentantenhauses widerlegte das. Doch die Fakten erreichen die Leute vor dem Gefängnis von Washington nicht mehr.
Es ist das, was diese Geschichte so folgenschwer macht.