«Der Tag der Entscheidung ist endlich da!», titelte die südafrikanische Zeitung «The Citizen» heute Morgen. Seit 5 Uhr Ortszeit sind die Wahllokale geöffnet. Umfragen deuten darauf hin, dass dies die am härtesten umkämpfte Wahl in Südafrikas Geschichte seit dem Ende der Apartheid-Ära sein wird. Zum ersten Mal könnte der seit 1994 regierende African National Congress (ANC) seine absolute Mehrheit verlieren. Das Land am Kap könnte erstmals von einer Koalitionsregierung gelenkt werden.
Der südafrikanische Wahlkampf hat sich um grundlegende Punkte gedreht: Arbeitsplätze, Bekämpfung der Kriminalität sowie die Wasser- und Stromversorgung. Mit einer Arbeitslosenquote von rund 41 Prozent, die bei Jugendlichen sogar noch höher ist, kämpft nahezu die Hälfte der Bevölkerung täglich ums Überleben. Der Frust über den ANC ist deutlich spürbar.
Treu dem ANC
Die älteren Generationen sind enttäuscht vom ANC, besonders wegen der grassierenden Korruption unter dem ehemaligen Präsidenten Jacob Zuma. Dennoch unterstützen viele Ältere weiterhin den ANC in der Hoffnung auf eine Verbesserung – oder sie wählen gar nicht. Dies könnte zu einer niedrigen Wahlbeteiligung führen. Eine andere Partei ist für viele keine Option. Zu stark ist die emotionale Bindung an die ehemalige Befreiungsbewegung, die vor 30 Jahren das Ende des rassistischen Apartheid-Regimes gebracht hat. Der Politologe William Gumede vergleicht ihr Verhalten mit dem von Fussball-Fans: Man bleibt dem Club treu, auch wenn er verliert – zu gross ist die emotionale Bindung, die Identifikation.
Besonders unzufrieden sind auch die jüngeren Wählerinnen und Wähler, die nach 1994 geboren wurden – die sogenannten «Born Frees». Sie kämpfen ums Überleben, fühlen sich von den Parteiprogrammen nicht angesprochen und könnten sich daher von den Urnen fernhalten oder gegen den ANC stimmen.
Neue politische Ära?
Die grossen Oppositionsparteien sind die Democratic Alliance (DA), die Economic Freedom Fighters (EFF) und die neu gegründete uMkhonto weSizwe (MK). Die DA tritt für marktwirtschaftliche Reformen ein, hat aber Schwierigkeiten, ihre Basis zu erweitern. Die EFF unter Julius Malema verfolgt eine populistische Agenda mit Forderungen nach Landenteignungen und Verstaatlichungen. Die MK, gegründet von Ex-Präsident Jacob Zuma, zieht frustrierte ANC-Wähler an, doch Zuma selbst kann aufgrund einer Vorstrafe nicht kandidieren.
Die entscheidende Frage ist, wie stark der ANC bei dieser Wahl verlieren wird. Sollte er nur knapp unter die 50-Prozent-Marke fallen, könnte eine Koalition mit kleineren Parteien weniger radikale Veränderungen bedeuten. Falls der ANC jedoch deutlich mehr Stimmen verliert, steht Südafrika vor einer neuen politischen Ära, in der Koalitionsregierungen zur Norm werden könnten. Eine Zusammenarbeit mit grösseren Oppositionsparteien wie der DA oder der EFF würde erhebliche Kompromisse und neue politische Strategien erfordern.
Die Wahl wird zeigen, ob Südafrika in eine neue politische Ära eintritt oder ob der ANC trotz wachsender Unzufriedenheit weiterhin das Vertrauen der Bevölkerung geniessen kann.