Nach dem Sturz von Machthaber Bashar al-Assad sind in Syrien Zehntausende Häftlinge aus den berüchtigten Foltergefängnissen des Diktators befreit worden. Omar Alshogre wurde als schon als Jugendlicher verhaftet und gefoltert. Im Interview spricht er über die Zustände in den Gefängnissen und wie die Assad-Schergen mit Gefangenen Geld verdienten.
SRF News: Omar Alshogre, Sie waren in Syrien in Haft. Können Sie erzählen, was Ihnen widerfahren ist?
Omar Alshogre: Ich war 15 Jahre alt, als die Revolution in Syrien losging. Die Menschen gingen auf die Strassen und forderten Freiheit und Demokratie. Obwohl ich nicht wusste, was das bedeutet, machte ich bei den Protesten mit. Deshalb wurde ich verhaftet und zwei Tage gefoltert, ehe ich wieder freikam. Bevor ich überhaupt verstand, was Demokratie bedeutet, wusste ich also, was eine Diktatur ist. Ich wurde mehrmals verhaftet, ich verbrachte drei Jahre in verschiedenen Gefängnissen, bevor ich ins Ausland fliehen konnte.
Wir alle litten unter diesem Präsidenten.
In den vergangenen Tagen haben die Rebellen sämtliche Gefangenen aus den Gefängnissen befreit. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie diese Befreiungsszenen sehen?
Die Freude ist überwältigend. Stellen Sie sich vor, wir haben eine Diktatur abgeschüttelt, nach 53 Jahren! Seit dem Beginn des Aufstandes im Jahr 2011 erlitten wir Syrerinnen und Syrer Schmerz, Hunger, Folter. Millionen mussten ihre Häuser verlassen. Wir alle litten unter diesem Präsidenten. Stellen Sie sich die Freude der Freigelassenen vor, die keine Hoffnung hatten, das Gefängnis jemals verlassen zu können!
Welche Bedeutung hatten die Gefängnisse unter dem Assad-Regime?
Diktator Bashar al-Assad liess nicht nur Gefangene foltern. Er sorgte auch dafür, dass alle über die Folter sprachen, um damit die Menschen einzuschüchtern. Die politischen Gefangenen wurden auch als Druckmittel eingesetzt, als Geldquelle missbraucht: Die Geheimdienste erpressten die Angehörigen und verlangten Geld für Informationen.
Einige Gefangene waren mehr als 40 Jahre eingesperrt, alle sind traumatisiert.
Wie lief das genau ab?
Bei uns lief es so: Jemand vom Geheimdienst rief meine Mutter an und sagte: Wenn du uns 30'000 US-Dollar gibst, sagen wir dir, wo dein Sohn ist. Natürlich wollte meine Mutter mich retten, also bezahlte sie. Ohne Garantie, dass die Leute, denen sie das Geld gab, wirklich wussten, wo ich festgehalten wurde. Die Geheimdienste haben so Millionen verdient.
Nun sind Zehntausende Gefangene freigelassen worden. Was soll jetzt mit ihnen geschehen?
Die Gefangenen wurden jahrelang in unmenschlichen Bedingungen gehalten. Sie brauchen jetzt unsere Unterstützung – psychisch und medizinisch. Die Folteropfer sind verletzt, das weiss ich nur zu gut. Ich war von Folter gezeichnet, als ich freikam, körperlich und seelisch ein Wrack. Einige Gefangene waren mehr als 40 Jahre eingesperrt, alle sind traumatisiert. Wir Syrerinnen und Syrer müssen ihnen beistehen. Die internationale Gemeinschaft, die zugelassen hat, dass wir vom Assad-Regime gefoltert, ausgehungert und mit Giftgas bombardiert wurden, muss uns dabei unterstützen.
Das Gespräch führte Anna Trechsel.