Es sind Dutzende alte Schuhe, die Jihane Mahmood Al-Hassan vor ihrem Zelt zum Trocknen ausgelegt hat. Die fünffache Mutter aus der syrischen Provinz Idlib verwendet das alte Schuhwerk, um zu heizen. Seit neun Jahren lebt sie mit ihrer Familie in einem Zelt im Libanon – ein Leben in Armut. «Wir verbrennen diese Schuhe im Ofen, weil wir kein Holz haben», sagt Jihane. «Der Rauch wird uns noch umbringen. Aber was können wir tun?»
Wirtschaftskrise trifft Flüchtlinge hart
Jihane ist kein Einzelfall. Hier im libanesischen Bekaa-Tal, nahe der syrischen Grenze, haben sich viele Flüchtlinge niedergelassen. Sie wohnen seit Jahren in behelfsmässigen Unterkünften – feste Bauten dürfen sie nicht errichten.
Am 15. März 2011 begannen in Syrien die Proteste gegen Präsident Bashar Al-Assad. Was als Arabischer Frühling begann, führte zum Ausbruch eines blutigen Bürgerkriegs mit inzwischen mindestens 350'000 Todesopfern und Millionen von Flüchtlingen. Viele sind in die Nachbarländer geflüchtet – etwa in den Libanon.
Das Leben dort gestaltet sich aber immer schwieriger, weil der Mittelmeerstaat unter einer der schwersten Wirtschaftskrisen der jüngeren Geschichte leidet. Insbesondere die Lebensmittel-Preise sind massiv angestiegen. Das hat dazu geführt, dass in der Zwischenzeit neun von zehn der syrischen Flüchtlinge im Libanon unterhalb der Armutsgrenze leben.
Konflikte verschärfen sich
Im Libanon leben laut Schätzungen bis zu 1.5 Millionen syrische Flüchtlinge – das entspricht mehr als einem Fünftel der Bevölkerung. Seit Jahren gibt es immer wieder Konflikte zwischen Einheimischen und Syrern. Die Situation hat sich mit dem Zerfall der libanesischen Währung jedoch verschärft. Es braucht nur wenig, bis Konflikte in Gewalt umschlagen.
Bei unserem Besuch treffen wir auf eine Familie, welche ihr Lager weiter oben in den Bergen Hals über Kopf verlassen musste. Nach einem Streit wurde sie nach eigenen Angaben von der libanesischen Lokalbevölkerung bedroht. Der Vater, der seinen Namen aus Furcht vor Repressalien nicht nennen will, sagt: «Sie haben uns mit Waffen angegriffen. Wir sind weggerannt mit unseren Kindern und Frauen.» Seine Frau ergänzt: «Sie haben uns gesagt: Ihr habt eine Stunde Zeit. Wenn ihr eure Kinder und Zelte nicht nehmt, werden wir euch alle umbringen.»
Sie haben uns mit Waffen angegriffen. Wir sind weggerannt mit unseren Kindern und Frauen.
Verlorene Generation
Besonders hart trifft die Situation die Kinder. Den Familien fehlt oft das Geld, um ihren Nachwuchs zur Schule zu schicken. Der 12-jährige Shadi beispielsweise hat bisher nur ein Jahr den Unterricht besuchen können. Statt zu lernen, arbeitet der junge Syrer nun illegal in einer Auto-Werkstatt. «Ich kann Autos und Reifen reparieren», erzählt er nicht ohne Stolz. «Ich kann auch Öl wechseln und andere Sachen.» Kurzfristig bringt das der Familie einen Zusatzverdienst ein.
Langfristig aber führt es dazu, dass Kinder wie Shadi kaum schreiben und rechnen können. Viele Expertinnen und Experten sprechen deshalb bereits von einer verlorenen Generation.