Täuschung ist eine bewährte Militärstrategie – und so alt wie der Krieg selbst. Schon in der Antike wurde sie zur Kunst erhoben. Zumindest, wenn man der Überlieferung glaubt: Im Bauch des Trojanischen Pferds versteckten sich die griechischen Belagerer. Nachts entstiegen sie dem geschenkten Gaul und überrannten die Stadt. Es war das blutige Ende des zehnjährigen Kriegs.
Mauro Mantovani, Dozent für Strategische Studien an der Militärakademie der ETH Zürich, bricht den Mythos auf die Realität auf dem Schlachtfeld herunter: «In der Kriegstheorie war schon immer klar, dass eine erfolgreiche Strategie auch sogenannte Strategeme, also Kriegslisten, enthalten muss.»
Bei Täuschungen gehe es immer darum, die Annahmen des Gegners zu durchkreuzen, erklärt der ETH-Experte. «Sei es die Annahme zur eigenen Stärke oder zu den eigenen Absichten: Der Gegner soll veranlasst werden, eine Fehldisposition seiner Mittel vorzunehmen.»
Hüpfburg-Hersteller produziert «Kriegsmaterial»
Auch im Krieg in der Ukraine wird der Gegner in die Irre geführt. Kiew setzt offenbar immer häufiger auf Attrappen, die den Kugel- und Raketenhagel der Russen auffangen sollen. Eine Firma in Tschechien macht daraus ein Geschäft: Statt Hüpfburgen produziert sie neu aufblasbare Panzerattrappen. Die Auftragsbücher sind voll.
Die aufblasbaren Kampf- und Schützenpanzer, Raketenwerfer und Tankfahrzeuge sollen gegnerisches Feuer provozieren und den Feind verleiten, um ein Vielfaches teurere Raketen zu verschiessen. «Die Munition soll damit auch nicht an anderen Stellen Menschenleben fordern und Schaden anrichten», sagt Mantovani.
Wie gross der Anteil der Attrappen im Ukraine-Krieg gegenüber richtigen Waffen ist, lässt sich schwer abschätzen. Laut Mantovani nimmt er aber mit fortwährender Kriegsdauer zu – auch, weil die Attrappen viel schneller und billiger produziert werden können als echtes Kriegsmaterial.
Gefundenes Fressen für die Propagandisten
Propaganda spielt in jedem Krieg eine gewaltige Rolle. Die Blossstellung eines Gegners, der aufblasbare Panzer mit wütenden Angriffen eindeckt, liefert ihr bestes Futter.
Der ewige Kreislauf der militärischen Innovation läuft in Kriegszeiten beschleunigt ab.
Ans Licht der Öffentlichkeit kommen die militärischen Malheurs aber nur selten. «Wenn eine Attrappe getroffen wurde, gibt es kaum mehr Überreste, die man propagandistisch verwerten könnte», sagt der ETH-Experte. «Und die Gegenseite hat natürlich auch kein Interesse daran, zuzugeben, dass sie sich von einer Attrappe hat täuschen lassen.»
Der Erfolg der Täuschungsversuche hängt dabei massgeblich von den gegnerischen Aufklärungsfähigkeiten ab. Insbesondere die ukrainische Seite setzt laut Mantovani stark auf Aufklärungsdrohnen, um das gegnerische Terrain auszukundschaften. Zudem kommen auf beiden Seiten Wärmebildkameras zum Einsatz. Dem kommen allerdings «intelligente» Attrappen zuvor, die Hitze simulieren können.
Mantovani nennt dies den «ewigen Kreislauf der militärischen Innovation, der in Kriegszeiten beschleunigt abläuft». So wird auch in der Ukraine die Kunst der Kriegslist weiterentwickelt, die schon die antiken Generäle umtrieb.