An der Spitze und am Schwanz der jährlichen Rangliste zur Pressefreiheit ändert sich 2021 wenig. Ganz oben platziert die Organisation «Reporter ohne Grenzen» wiederum die skandinavischen Länder. Auch die Schweiz und Deutschland behaupten sich mit den Rängen 10 und 13 solide. Ganz am Ende finden sich Eritrea, Nordkorea, Turkmenistan und China, wo die Medienfreiheit gegen null tendiert. Auch da: nichts Neues.
Diese Stabilität in der Rangierung täuscht aber darüber hinweg, dass sich die Situation insgesamt verschlechtert. Die Entwicklung begann vor einigen Jahren. Die Corona-Pandemie hat sie noch verstärkt. Viele Regierungen versuchen, die Deutungshoheit über die Krise zu behalten und gängeln deshalb die Medien. Dazu schränken die Corona-Restriktionen die Möglichkeiten ein, vor Ort zu recherchieren. Und schliesslich stehen Journalistinnen und Journalisten unter Druck von Corona-Skeptikern und -Leugnern. Sie sind konfrontiert mit Verachtung, Schikanen, Hass und gar Gewalt.
200 «Alarmfälle»
Der Europarat als Hüter der Menschenrechte ist entsprechend besorgt. In Zusammenarbeit mit mehr als einem Dutzend Medienfreiheitsorganisationen untersuchte er die Situation in seinen Mitgliedsländern – und gelangt zu einem tristen Befund. Aufgelistet werden mehr als 200 sogenannte «Alarmfälle», also Fälle von schweren Angriffen auf die Pressefreiheit. Zwar haben sich die 47 Mitgliedstaaten des Europarats in der Europäischen Menschenrechtskonvention verpflichtet, dafür zu sorgen, dass Journalisten frei und sicher arbeiten können.
Bloss: Sie unternehmen zu wenig dafür, kritisiert der Europarat. Und wer Medienschaffende angreift, kommt noch immer oft straflos davon. Ein besonders krasses Beispiel: Die Drahtzieher hinter dem Mord an der maltesischen Investigativjournalistin Daphne Caruana Galizia, laufen noch immer frei herum – fast vier Jahre nach der Tat.
Die Ursachen der Misere: Die in vielen Ländern starken autoritären Tendenzen; Repressalien aller Art; die Ausdünnung von Redaktionen aus wirtschaftlichen Gründen; die sinkende Wertschätzung für das Metier; die Abwendung ganzer Bevölkerungskreise von professionellen Informationsanbietern und ihre Hinwendung zu dubiosen Quellen; der wachsende juristische Druck potenter Akteure auf Redaktionen.
Europa ist keine «Oase der Pressefreiheit» mehr
Auch in manchen an sich freiheitlichen Ländern können journalistische Fehlleistungen nicht nur zivil-, sondern auch strafrechtlich geahndet werden. Medienfreiheitsorganisationen beanstanden das seit Jahren.
Natürlich steht es in Rechtsstaaten um die Pressefreiheit noch weitaus besser als im Rest der Welt. Aber eben längst nicht mehr gut. Die Menschenrechtskommissarin des Europarates, Dunja Mijatovic, sagt es so: «Wir glaubten bisher, zumindest die EU-Länder seien eine Art sichere Oasen der Pressefreiheit. Doch das ist nicht länger der Fall.» Zuvor demokratische Staaten wie die Türkei, Polen oder Ungarn wandeln sich zu halb Autoritären. Das trägt bei zur Malaise.
UNO-Generalsekretär Antonio Guterres bezeichnet die Information als «überlebensnotwendiges öffentliches Gut». Gemessen daran, wird erschreckend wenig unternommen, um es zu verteidigen.