Am Tag des Sieges demonstriert Russland üblicherweise seine Militärmacht. In normalen Jahren finden im ganzen Land eindrückliche Truppenparaden mit dem neuesten und besten Kriegsmaterial statt. Heuer waren die Feierlichkeiten in mehr als 20 Städten abgesagt – vorgeblich aus Sicherheitsgründen.
Kümmerlicher Umzug mit Museumspanzer
Doch die Zeremonie in Moskau hat den wohl tatsächlichen Grund offenbart: Der eher kümmerliche Militärumzug fand mit nur einem einzigen Panzer statt, der offenkundig aus einem Museum stammte. Einige gefeierte Einheiten der russischen Armee fehlten gänzlich. Die Streitkräfte Russlands haben im Angriffskrieg gegen die Ukraine Unmengen an Material und Soldaten verloren. Das kann der Kreml kaum mehr verbergen, auch wenn er die Feiern in vielen Regionen abbläst.
In einer ungewohnt kurzen Rede verband Wladimir Putin den Sieg über den Faschismus vor 78 Jahren mit dem aktuellen Kampf gegen den angeblichen «neuen Faschismus» der ukrainischen Regierung, die vom «russophoben» Westen gestützt werde. Es ist ein altbekanntes Narrativ des russischen Präsidenten, das aber nicht wie gewünscht zu ziehen scheint. An einem sonnigen Tag in Moskau wohnten auffällig wenige Zuschauer der Militärparade bei.
Tag des Sieges macht Widersprüche deutlich
Die beliebten Umzüge des «unsterblichen Regiments», bei denen Russinnen und Russen Fotos ihrer im Zweiten Weltkrieg gefallenen Verwandten tragen, hatten die Behörden ebenfalls abgesagt. Die Befürchtung, es könnten auch Fotos von in der Ukraine getöteten Verwandten auftauchen, war offenbar zu gross.
Bei aller Unterstützung für die «Spezialoperation» in der russischen Bevölkerung macht der Tag des Sieges auch Widersprüche deutlich, die selbst den Anhängern Putins klar sein dürften. Die Ukrainerinnen und Ukrainer, Kampfgenossinnen im Krieg gegen die Nationalsozialisten, werden jetzt zu Feinden stilisiert. Dass viele Moskauerinnen und Moskauer diesem wirren und komplett auf das Regime zugeschnittenen Feiertag fernblieben, überrascht daher nicht.