Die 16-jährige Andrea Tolontan merkte erst im vierten Monat, dass sie schwanger war. Niemand hatte sie aufgeklärt. Der Mutter habe die Zeit gefehlt, in der Apotheke beschimpfe man Jugendliche, die nach Kondomen fragten, erzählt sie.
Andrea wollte das Kind behalten – und sagt, das habe sie nie bereut. Jetzt, mit 19 Jahren, geht sie am Wochenende zur Schule, will die Matur machen, Jura studieren.
Mehrere hundert Mütter unter 14
Neben Andrea sitzt Marinela Rata. Ihre Hilfsorganisation Dream Project unterstützt junge Mütter. Andreas Erzählung lässt Marinela Rata an ihre eigene Schulzeit denken. «Aufklärung am Gymnasium, das hiess: Die Biologielehrerin schickte die Jungs raus und sprach mit uns Mädchen kurz über die Periode.»
Die Biologielehrerin schickte die Jungs raus und sprach mit uns Mädchen kurz über die Periode.
Noch heute werde in der Schule kaum jemand aufgeklärt. Und zu Hause in den meist konservativen Familien spreche man sowieso nicht über Sex. Fehlende Aufklärung sei einer der wichtigsten Gründe, warum so viele minderjährige Rumäninnen schwanger würden.
Mädchen aus armen, ungebildeten Familien, wo oft schon die Mutter blutjung ein Kind bekommen hatte.
Kirche und Politik gegen Aufklärung
Manche halten es für normal, jung Mutter zu werden. Manche hoffen, durch die Mutterschaft ihrem dysfunktionalen, gewalttätigen Umfeld zu entkommen. Im Jahr 2020 waren über 600 schwangere Rumäninnen jünger als 14. Meistens brechen sie die Schule ab – bekommen vom Staat jeden Monat nur 40 Franken Unterstützung.
Link zum Thema
Aktivistin Marinela Rata sagt, die Kirche und die Politik wehrten sich gegen mehr Aufklärung. «Die Kirche sagt, Aufklärung gehöre nicht in die Schule, sondern in die Familie.» Die Kirche sage auch, Abtreibung sei Mord.
Abtreibung ist zwar legal in Rumänien, aber immer mehr rumänische Ärztinnen und Ärzte folgen der Kirche und erklären, ihr Gewissen lasse Abtreibungen nicht zu. Der Staat wiederum kümmert sich kaum um minderjährige Mütter. Heute, sagt die Aktivistin, habe sie Angst um die Rechte der Rumäninnen. Das sei nicht immer so gewesen.
Die Zeiten für Frauenrechte waren schon besser
Unter Diktator Ceaceascu durften Rumäninnen zwar erst verhüten, wenn sie 40 Jahre alt waren und fünf Kinder hatten. Danach aber gab es eine Zeit, in der der Staat Verhütungsmittel und Zentren für Familienplanung subventionierte.
Das ist praktisch vorbei: Heute sagt Vasile Banescu, Sprecher der rumänischen orthodoxen Kirche, seine Kirche wehre sich gegen die Sexualisierung von Kindern. Diese erführen heute in der Schule schon genug über «natürliche Sexualität». Schuld an den vielen jungen Schwangeren sei denn auch nicht fehlende Sexualkunde, sondern die Auflösung der Familie.
Andrea Tolontan, die mit 16 Jahren eine Familie gegründet hat, sagt, sie erwarte nichts mehr von der Kirche. Vom Staat allerdings erwarte sie, dass er Minderjährige aufkläre und junge Mütter mit mehr Geld unterstütze.