Zum Inhalt springen
Audio
Rumäniens Teenager-Mütter
Aus Echo der Zeit vom 06.05.2023. Bild: Sarah Nowotny/SRF
abspielen. Laufzeit 5 Minuten 3 Sekunden.

Teenager-Schwangerschaften Rumänien: Nirgendwo in Europa bekommen so viele Kinder Kinder

Jedes Jahr bringen zwischen 15'000 und 20'000 Minderjährige Kinder zur Welt. Andrea zum Beispiel wurde mit 16 Jahren Mutter und sagt: «Mich hat niemand aufgeklärt.»

Die 16-jährige Andrea Tolontan merkte erst im vierten Monat, dass sie schwanger war. Niemand hatte sie aufgeklärt. Der Mutter habe die Zeit gefehlt, in der Apotheke beschimpfe man Jugendliche, die nach Kondomen fragten, erzählt sie.

Diskriminierung und Beschimpfungen

Box aufklappen Box zuklappen

Andrea Tolontans Handy quillt fast über vor lauter Fotos und Videos ihres dreijährigen Sohnes – das ist bei der 19-Jährigen aus Bukarest nicht anders als bei den meisten Müttern und Vätern.

Andreas Kopf aber ist voller schlechter Erinnerungen, an die Zeit vor drei Jahren, als sie 16 war und schwanger wurde. «Mir fällt gerade alles wieder ein, die Diskriminierung, die Beschimpfungen.»

Fürs Spitalpersonal sei sie Luft gewesen während der Geburt. Die Frauenärztin habe gesagt, das Kind werde eh abstürzen, obdachlos sein, sie solle es doch besser weggeben. Und was sie sich überhaupt dabei gedacht habe, schwanger zu werden.

Dabei habe sie eigentlich Glück: Sie sei mit dem Vater ihres Kindes zusammen, ihre Mutter arbeite in Deutschland und schicke ihr Geld. Sie wisse von Mädchen, die ihr Kind verlassen hätten. Von Mädchen, die sich oder das Baby umgebracht hätten.

Andrea wollte das Kind behalten – und sagt, das habe sie nie bereut. Jetzt, mit 19 Jahren, geht sie am Wochenende zur Schule, will die Matur machen, Jura studieren.

Mehrere hundert Mütter unter 14

Neben Andrea sitzt Marinela Rata. Ihre Hilfsorganisation Dream Project unterstützt junge Mütter. Andreas Erzählung lässt Marinela Rata an ihre eigene Schulzeit denken. «Aufklärung am Gymnasium, das hiess: Die Biologielehrerin schickte die Jungs raus und sprach mit uns Mädchen kurz über die Periode.»

Die Biologielehrerin schickte die Jungs raus und sprach mit uns Mädchen kurz über die Periode.
Autor: Marinela Rata Hilfsorganisation Dream Project

Noch heute werde in der Schule kaum jemand aufgeklärt. Und zu Hause in den meist konservativen Familien spreche man sowieso nicht über Sex. Fehlende Aufklärung sei einer der wichtigsten Gründe, warum so viele minderjährige Rumäninnen schwanger würden.

Mädchen aus armen, ungebildeten Familien, wo oft schon die Mutter blutjung ein Kind bekommen hatte.

Kirche und Politik gegen Aufklärung

Manche halten es für normal, jung Mutter zu werden. Manche hoffen, durch die Mutterschaft ihrem dysfunktionalen, gewalttätigen Umfeld zu entkommen. Im Jahr 2020 waren über 600 schwangere Rumäninnen jünger als 14. Meistens brechen sie die Schule ab – bekommen vom Staat jeden Monat nur 40 Franken Unterstützung.

Aktivistin Marinela Rata sagt, die Kirche und die Politik wehrten sich gegen mehr Aufklärung. «Die Kirche sagt, Aufklärung gehöre nicht in die Schule, sondern in die Familie.» Die Kirche sage auch, Abtreibung sei Mord.

Abtreibung ist zwar legal in Rumänien, aber immer mehr rumänische Ärztinnen und Ärzte folgen der Kirche und erklären, ihr Gewissen lasse Abtreibungen nicht zu. Der Staat wiederum kümmert sich kaum um minderjährige Mütter. Heute, sagt die Aktivistin, habe sie Angst um die Rechte der Rumäninnen. Das sei nicht immer so gewesen.

Die Zeiten für Frauenrechte waren schon besser

Unter Diktator Ceaceascu durften Rumäninnen zwar erst verhüten, wenn sie 40 Jahre alt waren und fünf Kinder hatten. Danach aber gab es eine Zeit, in der der Staat Verhütungsmittel und Zentren für Familienplanung subventionierte.

Das ist praktisch vorbei: Heute sagt Vasile Banescu, Sprecher der rumänischen orthodoxen Kirche, seine Kirche wehre sich gegen die Sexualisierung von Kindern. Diese erführen heute in der Schule schon genug über «natürliche Sexualität». Schuld an den vielen jungen Schwangeren sei denn auch nicht fehlende Sexualkunde, sondern die Auflösung der Familie.

Andrea Tolontan, die mit 16 Jahren eine Familie gegründet hat, sagt, sie erwarte nichts mehr von der Kirche. Vom Staat allerdings erwarte sie, dass er Minderjährige aufkläre und junge Mütter mit mehr Geld unterstütze.

Echo der Zeit, 06.05.2023, 18:00 Uhr

Jederzeit top informiert!
Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden.
Schliessen

Jederzeit top informiert!

Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden. Mehr

Push-Benachrichtigungen sind kurze Hinweise auf Ihrem Bildschirm mit den wichtigsten Nachrichten - unabhängig davon, ob srf.ch gerade geöffnet ist oder nicht. Klicken Sie auf einen der Hinweise, so gelangen Sie zum entsprechenden Artikel. Sie können diese Mitteilungen jederzeit wieder deaktivieren. Weniger

Sie haben diesen Hinweis zur Aktivierung von Browser-Push-Mitteilungen bereits mehrfach ausgeblendet. Wollen Sie diesen Hinweis permanent ausblenden oder in einigen Wochen nochmals daran erinnert werden?

Meistgelesene Artikel