Für den Iran könnte dieses Jahr ein schwieriges werden, sagt der deutsch-iranische Politologe Ali Fathollah-Nejad. Das Land befinde sich in einem Zustand historischer Schwäche. Was heisst das für das Regime und die Gesellschaft?
SRF News: Wenn wir an den Iran denken, denken viele an eine regionale Supermacht, die eine stete Bedrohung darstellt. Doch Sie sagen, der Iran gleiche einem Kaiser ohne Kleider. Warum?
Ali-Fathollah-Nejad: Absolut richtig. Es gibt seit 2018 einen langfristigen revolutionären Prozess im Iran, der Staat und die Gesellschaft sind auf Kollisionskurs. Diese innenpolitischen Krisen vertiefen sich. Gleichzeitig stellte 2024 eine historische Zäsur dar in der regionalen Geopolitik. Der Iran hat die meisten Alliierten in der Region verloren. Also gleicht das Regime einem Kaiser ohne Kleider.
Die verbündeten Milizen, die Hisbollah im Libanon und die Hamas in Gaza, erlitten schwere Verluste. Das verbündete Assad-Regime in Syrien wurde regelrecht weggefegt. Heisst das, die sogenannte «Achse des Widerstands» funktioniert nicht mehr?
Sie funktioniert auf jeden Fall nicht mehr so, wie sie in den letzten Jahrzehnten funktioniert hat. Für die iranischen Machthaber war diese Achse eine Projektion ihrer Macht in der Region gegen israelische und amerikanische Interessen. Sie war als Druckmasse gegen den Westen immer wieder nutzbar.
Die Drohung mit der nuklearen Eskalation ist mit Trump im Weissen Haus komplizierter geworden.
Darum herrscht im Iran nun eine grosse Ratlosigkeit. Die einzige Druckmasse, die man jetzt noch hat, ist das Atomprogramm. Aber auch die Drohung mit der nuklearen Eskalation ist komplizierter geworden seit der Rückkehr von Donald Trump ins Weisse Haus.
Warum?
Weil Trump zwar einerseits mit Sanktionen maximalen Druck auf Teheran ausüben will, gleichzeitig aber auch an einem Abkommen interessiert ist. Der Deal, den Trump will, würde aber über ein reines Atomabkommen hinausgehen. So soll auch das iranische Raketenprogramm oder die militärische Stärke Teil des Abkommens sein. Trump will also viel mehr, da er sich bewusst ist, wie schwach der Iran aktuell ist.
Das Regime steht nicht nur von aussen unter Druck, sondern auch von innen. Sie sprechen von einer politischen Krise. Warum?
Das politische Establishment hat die ökonomische und politische Macht monopolisiert. Es ist aber nicht in der Lage, vielleicht auch nicht willens, die vielen strukturellen Probleme des Landes zu lösen.
Die iranische Elite ist hochkorrupt und recht unqualifiziert.
Die politische Elite hat zum Beispiel keinerlei Antworten auf die zunehmende Verarmung der iranischen Gesellschaft, die mittlerweile auch weite Teile der Mittelschicht umfasst. Zudem ist sie hochkorrupt und recht unqualifiziert, weil die meisten Leute innerhalb dieser Elite bloss aufgrund ihrer Loyalität zum Regime hohe Funktionen innehaben.
Heisst das, diese Elite hat eigentlich keine Zukunft?
Vermutlich nicht. Die soziale Basis des Regimes ist ausgedünnt. Bei den letzten Protesten, der «Frauen, Leben, Freiheit»-Bewegung, sympathisierten 80 Prozent der iranischen Bevölkerung mit diesem revolutionären Aufstand. Auch innerhalb der Streitkräfte gibt es Risse, die von aussen betrachtet nicht so sichtbar sind.
Die bald anstehende Nachfolge von Chamenei könnte zu einer Destabilisierung führen.
Es ist aber fraglich, wie sich die unteren Ränge bei Massenprotesten positionieren würden. Zudem steht die Nachfolge des greisen Staatsoberhauptes Ali Chamenei bevor, was auch zu einer Destabilisierung führen kann. Dazu der immense Druck von aussen, auch durch Donald Trump: Es wird also ein äusserst schwieriges Jahr für die Herrschenden im Iran.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.