Worum geht es bei der geplanten Annexion ukrainischer Gebiete? Bis Dienstag wollen die russischen Besatzer in den östlichen Gebieten Luhansk und Donezk sowie in Cherson und Saporischja im Süden mit Scheinreferenden den Anschluss an Russland durchsetzen. Die angeblichen Abstimmungen sind völkerrechtswidrig, weil sie ohne Zustimmung der Ukraine, unter Kriegsrecht und nicht nach demokratischen Prinzipien ablaufen.
Mit der Annexion würde der Kreml künftige Angriffe auf die Gebiete als Angriffe auf eigenes Staatsgebiet werten. Und Putin droht: «Wenn die territoriale Integrität unseres Landes bedroht wird, werden wir zum Schutz Russlands und unseres Volkes unbedingt alle zur Verfügung stehenden Mittel nutzen.» Also auch Atomwaffen.
Was will Putin mit der Teil-Mobilmachung bezwecken? Die in Russland sogenannte «militärische Spezialoperation» hat dem Kreml wohl bisher nicht annähernd das erhoffte Ergebnis gebracht. Zwar haben die russischen Truppen grössere Gebiete im Osten und Süden besetzt, mussten sich aber unter dem Druck der ukrainischen Gegenoffensive aus der Region Charkiw zurückziehen. Auch in anderen Gebieten bröckelt die Besatzung.
Vor diesem Hintergrund hofft Putin wohl, mit den insgesamt 300'000 Reservisten eine Wende auf dem Schlachtfeld herbeiführen zu können. Und er dürfte auch darauf spekulieren, dass seine jüngsten Drohgebärden die Ukraine und deren westliche Unterstützer einschüchtern.
Wie realistisch sind Putins Pläne? Laut Prognosen internationaler Militärexperten dürfte Russland länger brauchen als erwartet und nur Verbände mit zweifelhafter Kampfkraft aufstellen können. «Das sind Leute, die zuerst trainiert werden müssen, sie müssen ausgerüstet und in kampffähige Truppen integriert werden», sagt Sicherheitsexperte Benno Zogg von der ETH Zürich. Das gehe nicht so schnell. Der US-Militärexperte Rob Lee meint auf Twitter, dass auf russischer Seite dann immer mehr Soldaten am Kampf beteiligt seien, die dort nicht sein wollten. Sein Fazit: «Zwischen ukrainischen und russischen Verbänden wird der Unterschied in der Moral und dem Zusammenhalt der Truppe immer grösser.»
Was bedeutet das für die ukrainischen Gegenoffensiven? In Kiew wurde die Ankündigung aus Moskau betont gelassen zur Kenntnis genommen. Der externe Berater des ukrainischen Präsidentenbüros, Michajlo Podoljak, fragte auf Twitter: «Läuft immer noch alles nach Plan oder doch nicht?» Präsident Wolodimir Selenski hatte bereits davor betont, die Ukraine lasse sich nicht einschüchtern. Zudem dürften in den kommenden Monaten auch auf ukrainischer Seite frische Kräfte eintreffen. So läuft etwa die Ausbildung ukrainischer Soldaten in Grossbritannien und anderen westlichen Staaten.
Wie verhält sich der Westen? Hochrangige Politiker aus dem Westen werten Putins Ankündigung als «Zeichen der Schwäche» und als «Akt der Verzweiflung» wegen der jüngsten militärischen Misserfolge Russlands. Der deutsche Kanzler Olaf Scholz sagte, Putin habe die Situation von Anfang an «komplett unterschätzt». Offen ist aber, wie westliche Staaten abseits von Worten mit der neuen Eskalation umgehen – insbesondere mit Putins Drohung, notfalls auch Atomwaffen einzusetzen. Ein direktes militärisches Eingreifen des Westens gilt als ausgeschlossen.