Im bevölkerungsreichsten Land Afrikas kommt es derzeit wiederholt zu Massenentführungen. Wenige Tage nach der Entführung von fast 300 Schulkindern sind in Nigeria erneut Dutzende Menschen verschleppt worden.
Am Dienstag seien im Bundesstaat Kaduna im Nordwesten des Landes zunächst 61 Männer und Frauen sowie später eine weitere unbekannte Zahl Menschen entführt worden, sagte der Abgeordnete Usman Danlami aus dem Regierungsbezirk Kajuru am Mittwoch.
Aus dem benachbarten Bezirk Chikun waren zuvor 287 Mädchen und Jungen aus einer Schule verschleppt worden. Sicherheitskräfte und Behörden bemühen sich seitdem um ihre Freilassung. Wo die Kinder festgehalten werden, wissen sie aber nicht.
In den letzten Jahren haben sich Entführungen zum Geschäftsmodell entwickelt.
Hinter den Entführungen werden kriminelle Banden vermutet. Die Polizei hatte am Dienstag mitgeteilt, dass weitere Kräfte zur Suche nach den Schulkindern entsandt worden seien, aber auch andere Ansätze verfolgt würden. Örtlichen Medienberichten zufolge versuchen Behörden, mit den Entführern zu verhandeln.
Tausende Menschen verschleppt
«Eine solche Häufung grösserer Entführungen ist auch für Nigeria unüblich, insbesondere das Phänomen der Massenentführungen», sagt Marija Peran. Sie leitet das Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Nigeria.
Nach Angaben der Beratungsfirma SB Morgen wurden allein zwischen Juli 2022 und Juni 2023 in Nigeria 3620 Menschen entführt, die meisten davon in Kaduna. Im Norden und Zentrum des Landes mit mehr als 220 Millionen Einwohnern entführen sowohl Terrorgruppen als auch kriminelle Banden immer wieder Menschen. Ziel ist meist die Erpressung von Lösegeld, Zwangsrekrutierung oder sexuelle Gewalt.
Die Behörden gehen nicht davon aus, dass die derzeitigen Entführungen zusammenhängen. Klar ist aber: «Sie vollziehen sich in einer Lage, in der Nigeria wirtschaftlich katastrophal dasteht», berichtet Peran. «In den letzten Jahren haben sich Entführungen zum Geschäftsmodell entwickelt.»
Im Land grassiert die Armut – ein fruchtbarer Boden für die Bandenkriminalität. Hinter den meisten der aktuellen Entführungen würden denn auch nicht religiöse Fanatiker wie Boko Haram, sondern kriminelle Banden stecken, schätzt Peran. Und diese betreiben ihr «Geschäftsmodell» zunehmend professionell.
Ein lukratives Geschäft
Teilweise agieren die Banden grenzüberschreitend und verfügen über ein dicht verzweigtes kriminelles Netzwerk. Neben Entführungen finanzieren sie sich auch über Menschenhandel und Drogengeschäfte.
Dazu kommen lokale Banden und selbsternannte Bürgerwehren, die in dem riesigen Land agieren. «Auch sie tun sich häufig zusammen, um diese Entführungen durchzuführen», schildert Peran. Und schliesslich wittern auch einzelne Individuen ihre Chance, sich auf diesem Weg zu bereichern.