Im ärmlichen Quartier Colombie scheint niemand Tidjane Thiam zu kennen. Mehrere Frauen in Nähateliers schütteln ratlos den Kopf, wenn man sie nach dem neuen Präsidenten der Parti Démocratique de Côte d’Ivoire (PDCI) fragt. Dabei hat der ehemalige Credit-Suisse-Banker im Januar die Führung der lange Zeit staatstragenden Partei übernommen.
Thiam sei zu wenig bekannt, das sei seine grosse Schwäche, sagt Politikanalyst Séverin Kouamé in seinem Büro in der Wirtschaftsmetropole Abidjan. «Zum Glück hat er die PDCI als politischen Arm. Doch nun muss er auch die Menschen erreichen und sie wieder für die Politik interessieren.»
In den letzten 20 Jahren bedeutete Politik in der Elfenbeinküste, dass man entweder vom Norden oder vom Süden ist, Muslim oder Christin. Man folgt Präsident Alassane Ouattara oder seinem Erzrivalen Laurent Gbagbo.
Gespaltenes Land
Das Land ist wirtschaftlich aufstrebend, wenn auch nach zwei längeren Konflikten gespalten. Und eine Versöhnung zwischen Nord und Süd fand nie wirklich statt.
Yao Kra N'Yuan will Thiam bekannter machen. Er liebe Thiam, gesteht N'Yuan in einem Café im Einkaufszentrum. Darum verbringt der 43-Jährige seit einem Jahr täglich mehrere Stunden in den sozialen Medien – und betreibt freiwillig Thiam-Konten auf Youtube, Twitter und Tiktok.
Der eloquente N'Yuan ist überzeugt: Der 61-jährige Ex-Banker ist der beste Mann für die Elfenbeinküste. «Thiam kann die Ivorer zusammenbringen und hat einen Lebenslauf ohne dunkle Flecken.»
Das sieht man in der Schweiz wohl anders. Thiam soll bei der CS auch zweifelhafte Entscheide getroffen haben, wie etwa die Überwachung ehemaliger Mitglieder der Geschäftsleitung.
Thiam hat eine weisse Weste
Doch in der Elfenbeinküste bedeutet ein weisses Hemd: Thiam war nie in Gewaltexzesse verwickelt, wie viele andere Politiker.
Seine lange Abwesenheit sei ein Nachteil, aber auch ein Vorteil, so Politikexperte Kouamé: «Thiam ist der Archetyp eines neuen Politikers in der Elfenbeinküste. Wir brauchen mehr solche Persönlichkeiten, welche die verkrustete Politiklandschaft aufbrechen, die alten Politiker ablösen.»
Tidjane Thiam hat nun gut eineinhalb Jahre Zeit, um bekannt zu werden. Einem lokalen Fernsehsender hat er bereits ein langes Interview gegeben. Die Anfrage von SRF lehnte er ab.
Gegen wen er bei den Wahlen antreten wird, ist noch nicht klar. Eventuell gegen den 81-jährigen Präsidenten Ouattara. Doch zunächst muss Thiam durchs Land tingeln. Der Wahlkampf findet auf der Strasse und in den Dörfern statt. Der Ex-Banker wird seine Ärmel hochkrempeln müssen.