Ein miserabler Redner sei er, seine Schriften theorielastig, es mangle ihm an Charisma und Kampferfahrung: So wird der getötete Al-Kaida-Anführer Aiman al-Sawahiri beschrieben. Ein Weggefährte soll zu ihm gesagt haben: Egal welcher Gruppe er sich anschliesse, niemals werde er deren Anführer. Daher scheint es erstaunlich, dass sich der Ägypter über zehn Jahre an der Spitze der Terrororganisation halten konnte.
Heute erweist sich Al-Kaida als erstaunlich widerstandsfähig. Dies wohl auch wegen Al-Sawahiri. Denn neben den Schwächen, die ihm zugeschrieben werden, soll ihn vor allem eines ausgezeichnet haben: Geduld.
Grosser Erfolg in Afghanistan
Die Geduld hat sich aus seiner Sicht – zumindest bis die US-Raketen auf ihn abgefeuert wurden – in Afghanistan ausbezahlt. Hier sind die mit Al-Kaida verbündeten Taliban wieder an der Macht. Das ist ein Propagandaerfolg, auch gegenüber dem Islamischen Staat (IS), der Al-Kaida zeitweise in den Schatten gestellt, inzwischen sein Territorium aber wieder verloren hat.
Die IS-Propaganda versucht zwar, die Taliban als Verräter der dschihadistischen Sache darzustellen, weil sie ein Abkommen mit den USA eingegangen sind. Doch viele Sympathisanten sehen in Afghanistan vor allem: Wir haben gewonnen, zwei Jahrzehnte Kampf haben sich gelohnt. Das ist die Interpretation von Al-Kaida.
Globale Terrororganisation punktet lokal
Die Geduld al-Sawahiris scheint sich international auszuzahlen. Langsam aber stetig ist es während der Zeit seiner Führung gelungen, weltweit Ableger aufzubauen und Verbündete zu gewinnen. Die Strategie: Einbindung in Widerstandskämpfe. Die globale Terrororganisation punktet derzeit lokal.
So besteht Al-Kaida heute aus einem Netz von Niederlassungen. Das ist allerdings kein Dschihadisten-Jekami, sondern bedarf einiges an Verhandlungsgeschick sowie eines bürokratischen Prozesses durch die Al-Kaida-Führungsstrukturen.
Für Al-Kaida bedeutet die Beratung, das logistische Unterstützen und teilweise Mitkämpfen in Ost- und Westafrika, im Jemen, in Syrien oder Pakistan zwar weniger Schlagzeilen im Westen. Das scheint aber nachhaltiger zu funktionieren als die Strategie des IS mit seiner brutalen Herrschaft. Nicht, dass Al-Kaida «weich» geworden wäre – Ziel sind noch immer Scharia-Regimes voller Härte. Weiterhin gelten die USA, Israel und der Westen als Todfeinde – doch kann man das Vorgehen als «smarter» bezeichnen.
Al-Kaida stellt gemessen an der Zahl von Terroranschlägen für Europa und die USA nicht mehr die Gefahr von einst dar – auch wegen Verfolgung. Zudem hat Al-Kaida keines der verhassten Regimes von «Ungläubigen» beendet oder US-Truppen aus allen muslimischen Ländern vertrieben, wie es das Ziel ist.
Aus der Basis wurden viele Basen
Blickt man auf die Anfänge im Gründungsjahr 1988 zurück, muss man festhalten: Das Terrornetzwerk ist noch da, verbreitet seine Ideologie, findet Anhänger, kann sich in Konfliktherden niederlassen und als Unterstützer einer geplagten Bevölkerung darstellen.
Übersetzt bedeutet Al-Kaida: die Basis. Nach Verständnis der Gründer Osama bin Laden und Aiman al-Sawahiri will man ein Fundament bieten, auf dem Dschihadisten ihre tödliche Agenda weiterführen können. In der Zeit von al-Sawahiris Führerschaft sind strategische Durchbrüche ausgeblieben, doch aus einer Basis sind zahlreiche Basen weltweit geworden.