Für einen Moment war es ganz still, als Hunderte von Menschen auf der Kreuzung an der 38th Street und Chicago Avenue in Minneapolis standen. Sie hatten sich am Tatort von George Floyd versammelt, um das Urteil im Prozess gegen den ehemaligen Polizeibeamten zu hören, der für seinen Tod verantwortlich ist.
«Sie verkünden das Urteil!», rief jemand und bat um Ruhe.
Dann erfüllte donnernder Jubel den Ort, an dem George Floyd vor fast einem Jahr unter dem Knie eines Polizisten eingeklemmt war und um Luft bettelte. Viele Menschen weinten. Einige schluchzten.
Ein Ansatz von Gerechtigkeit
Auf dem Platz, der jetzt als George-Floyd-Platz bekannt ist und den Millionen auf der ganzen Welt in Videos gesehen haben, herrschte Erleichterung. Auch Venisha Johnson sprang vor Freude, als sie die Urteile hörte.
Ich habe jeden Tag für George gebetet.
Minuten später konnte sie kann sie kaum noch sprechen, so sehr weinte sie. «Es bedeutet mir so viel», sagte Johnson, die eine Maske trug, die an einige von Floyds letzten Worten erinnerte: Ich kann nicht atmen. «Ich habe jeden Tag für George gebetet, jeden Morgen um 6 Uhr», sagte sie.
Am frühen Abend wird der Platz eine Szene des Feierns, des Gebets und der Erleichterung der Gemeinschaft. Mehr und mehr Menschen strömten herbei. Der 17-Jährige Chris Gober brachte seinen jüngeren Bruder mit, um darüber zu sprechen, wie schwarze Männer von der Polizei bedroht werden können.
Das Urteil ist der Anfang einer Veränderung.
«Passt auf euren Rücken auf. Pass auf alles auf, was du tust», sagte er dem 7-Jährigen. Aber Gober sagte auch, das Urteil sei «ein Anfang einer Veränderung» für eine Bewegung für Rassengerechtigkeit.
Institutionalisierte Diskriminierung geht alle an
Für diejenigen, die sich am Dienstag versammelt hatten, war es zumindest ein Anfang von Gerechtigkeit. Strafrechtliche Verurteilungen von Polizeibeamten sind ausserordentlich selten.
Nach der Verkündung des Urteils kündigte demnach auch US-Vizepräsidentin Kamala Harris Reformen an, um strukturellen Rassismus in den USA zu überwinden. Die institutionalisierte Diskriminierung sei nicht nur ein Problem des schwarzen Amerikas oder anderer Minderheiten, sagte Harris am Dienstagabend im Weissen Haus im Beisein von Biden, der sich im Anschluss äusserte.
Biden: Schandfleck der Nation bleibt
Der US-Präsident rief eindringlich zu einem weiteren Kampf gegen Rassismus und Polizeigewalt auf. Struktureller Rassismus sei «ein Schandfleck auf der Seele unserer Nation», sagte er. Man dürfe nach dem Schuldspruch nicht wegschauen und denken, «unsere Arbeit ist getan.»
Auch der frühere US-Präsident Barack Obama forderte nach dem Schuldspruch ein tiefgreifendes Umdenken und Reformen. «Wahre Gerechtigkeit erfordert, dass wir die Tatsache einsehen, dass schwarze Amerikaner anders behandelt werden, jeden Tag», erklärte Obama auch im Namen seiner Frau Michelle.