Seit der Westen im Frühjahr 2022 Sanktionen gegen Russland verhängt hat, dürfen keine Werkzeugmaschinen aus der Schweiz geliefert werden. Denn diese könnten in der russischen Waffenindustrie eingesetzt werden – und das will die Schweiz verhindern.
Trotzdem fanden seither über 100 Maschinen von Schweizer Herstellern ihren Weg nach Russland. Das zeigt nun eine exklusive Analyse von russischen Zolldaten von SRF Investigativ.
Ein Beispiel: Zwölf Maschinen der Schweizer Tornos AG gelangten an einen Zulieferer der Rüstungsindustrie. Wie kamen sie dorthin?
Mychajlo Podoljak, Berater von Präsident Wolodimir Selenski, sieht die Verantwortung bei den Schweizer Herstellern. «Sie verkaufen softwaregesteuerte Hightechprodukte. Wenn man heute jedes Telefon orten kann, dann auch diese Maschinen. Die Hersteller wissen genau, wohin geliefert und verkauft wird, aber wenn sie mit der Überwachung beginnen, verlieren sie Gewinne, und die wollen sie nicht verlieren.»
Wenn die Unternehmen mit der Überwachung beginnen, verlieren sie Gewinne und die wollen sie nicht verlieren
Podoljak hat Grund zur Sorge. Der Krieg dauert bereits über drei Jahre. Der Ukraine fehlen auf dem Schlachtfeld Waffen und Soldaten. Und nun hat US-Präsident Trump per sofort die Militärhilfe aufgekündigt.
Russland rüstet auf
Russland auf der anderen Seite scheint über endlose Waffenarsenale zu verfügen. Der eingangs erwähnte Kalaschnikow Konzern beispielsweise produziert längst nicht mehr nur Gewehre, sondern auch Marschflugkörper und Drohnen. Im letzten Jahr hat Kalaschnikow nach eigenen Angaben die Drohnenproduktion verzehnfacht.
«Der Verschleiss von Maschinen und Ersatzteilen hat sich massiv erhöht, weswegen Russland weiterhin intensiv in westlichen Staaten sanktionierte Güter beschafft», schreibt der NDB. Unter die sanktionierten Güter fallen auch sogenannte CNC-Maschinen, die computergesteuert Teile im Mikrometerbereich bohren, schleifen und zufräsen.
Für diese Präzision ist die Schweiz weltweit bekannt. Sie wird auch von der Rüstungsindustrie geschätzt. Deshalb sind Exporte dieser Maschinen aus der Schweiz nach Russland oder zur Verwendung in Russland seit Frühling 2022 verboten.
Über die Hälfte der Schweizer Maschinen von Georg Fischer
In den Zolldaten tauchen auch Maschinen von Schweizern Herstellern wie Schaublin oder Fritz Studer auf. Beide schreiben auf Anfrage sinngemäss, dass sie sich an die Gesetze und Exportkontrollbestimmungen halten.
Über die Hälfte der 100 Maschinen, die seit Frühling 2022 nach Russland gelangten, sind Maschinen von Georg Fischer, kurz GF. Der Industriekonzern hat den Hauptsitz in Schaffhausen und gehört mit seiner Division GF Machining Solutions zu den wichtigsten Maschinenherstellern Europas. Georg Fischer produziert hauptsächlich in der Schweiz und China.
«Unternehmen haben eine Sorgfaltspflicht»
Dass so viele Maschinen nach Russland gelangen, sieht nicht nur die Ukraine kritisch. Katja Gloor von Transparency International Schweiz war selbst als Compliance-Expertin in der Privatwirtschaft tätig und sagt, Unternehmen hätten rechtlich und ethisch gesehen eine Sorgfaltspflicht.
Wo sind die Grenzen dieser Sorgfaltspflicht? Hat Georg Fischer Alarmsignale ignoriert?
Georg Fischer betont, «alle Rechte, Vorschriften, nationalen und internationalen Sanktionen sowie die internen Compliance-Prozesse» seien stets eingehalten worden.«Wir sind bestrebt, aktuellen russischen Beschaffungsversuchen entgegenzuwirken. Trotz aller Anstrengungen kann nicht ausgeschlossen werden, dass gebrauchte Maschinen von Märkten aus aller Welt nach Russland gelangen.»
Sie hätten Maschinen für über fünf Millionen Franken aus dem Markt zurückgekauft, um deren Lieferung nach Russland zu verhindern. Nach Beginn des Kriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 seien alle Geschäfte mit Russland umgehend gestoppt worden.
Alarmsignale vor dem Krieg – Bundesanwaltschaft ermittelt
Fest steht: Schon vor Kriegsbeginn gab es Alarmsignale. Als exklusiver Vertriebspartner von Georg Fischer für Russland hat die Galika AG aus Volketswil deren Maschinen nach Russland exportiert.
Heute ermittelt die Bundesanwaltschaft im Zusammenhang mit Galika. Es geht um mutmassliche mehrfache Verstössen gegen das Güterkontrollgesetz bei Lieferungen vor Kriegsbeginn. Die CH-Media Zeitungen berichteten zuerst über den Fall. Recherchen von SRF Investigativ zeigen: Die Bundesanwaltschaft klopfte im Zusammenhang mit möglichen Exportkontrollverletzungen auch bei GF an. GF schreibt, dass sie nicht Partei in diesem oder anderen Verfahren sei.
NDB: Maschinenhändlerin Galika versuchte, das SECO zu täuschen
Spätestens im Januar 2021 muss Georg Fischer gewusst haben, dass es beim Vertriebspartner für Russland Auffälligkeiten gab. Die Galika AG wollte bewilligungspflichtige Dual Use Maschinen exportieren, angeblich für medizinische Zwecke. Doch der NDB warnte das SECO: «Es handelt sich wohl um eine bewusste Irreführung der Exportkontrollbehörden.»
Auszüge aus dem BVGer-Urteil
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Bild 1 von 2. Auszug aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Januar 2021. Durch Medienberichte zum Urteil wurde die Verbindung der Maschinenhändlerin Galika AG zu einem Rüstungsbetrieb erstmals bekannt. Bildquelle: SRF.
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Bild 2 von 2. Auszug aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Januar 2021. Durch Medienberichte zum Urteil wurde die Verbindung der Maschinenhändlerin Galika AG zu einem Rüstungsbetrieb erstmals bekannt. Bildquelle: SRF.
Der Empfänger in Russland produziere in Wahrheit für Russlands wichtigstes Kampfflugzeugprojekt. Das SECO verweigerte Galika die Ausfuhr von drei Maschinen. Wegen Verfahrensfehler ging der Fall bis vor Bundesverwaltungsgericht. Auch im zweiten Anlauf erhielt die Galika keine Bewilligung. SRF Investigativ weiss, es ging dabei auch um eine Maschine von Georg Fischer.
Der Wortlaut aus dem GF-Jahresbericht von 2022 zeigt, dass die offenbar enge Geschäftsbeziehung zwischen der Maschinenhändlerin Galika und GF erst über ein Jahr später endete: «Aufgrund des Kriegs in der Ukraine beendete GF im ersten Quartal 2022 sein Handelsgeschäft in Russland und schloss die Repräsentanz in Moskau im Verlauf des Jahres.»
Hätte der Hersteller GF früher Konsequenzen ziehen müssen? Compliance-Expertin Katja Gloor sagt: «Wenn ich einen Grund zur Annahme habe, dass potenziell eine Umgehung stattfinden könnte, dann habe ich eine Pflicht, das Endziel und die Endverwendung meiner Lieferung zu überprüfen.»
GF schreibt: «Für sämtliche gelieferten Maschinen wurde von GF Machining Solutions eine Endverbleibserklärung sowie die nötigen Exportgenehmigungen bei den jeweils zuständigen Behörden eingeholt.»
Die Maschinen bei Kalaschnikow
Auch die Lieferung der GF-Maschinen an den Rüstungskonzern Kalaschnikow zu Beginn des Texts lief über die Händlerin Galika.
In diesem Video besichtigt der ehemalige Verteidigungsminister Sergei Schoigu das Werk.
Die Produktionslinie wurde bereits 2017 eröffnet, also vor dem strikten Exportverbot für Werkzeugmaschinen. Kalaschnikow ist aber seit 2014 umfassend von den USA sanktioniert und von der Schweiz als «militärischer Endempfänger» klassifiziert. Mit Kalaschnikow Geschäfte zu machen, war heikel, aber nicht verboten.
Zu den Maschinen in der Kalaschnikow-Fabrik schreibt GF, Galika habe in diesem Fall «ausschliesslich Non-Dual-Use-Maschinen von GF gekauft, welche direkt von einem Dritthersteller in Taiwan nach Russland gingen. Hierbei wurden keine Sanktionen oder sonstige Exportkontroll-Vorschriften verletzt.»
Die Verantwortung endet nicht bei der Einhaltung formeller Exportbestimmungen.
Katja Gloor sagt: «Die Verantwortung endet nicht bei der Einhaltung formeller Exportbestimmungen, sondern schliesst auch eine sorgfältige Überprüfung potenzieller Umgehungskonstrukte ein.» Wesentlich sei aber auch die Rolle von Vertriebspartnern.
Noch mehr Verbindungen zur Rüstungsindustrie
Andrew Fink überraschen die Lieferungen von Galika an die russische Rüstungsindustrie nicht. Der Russlandanalyst beobachtet die Händlerin für die US-amerikanische Daten- und Recherchefirma Exovera seit langem. Dabei sind ihm zahlreiche Verbindungen aufgefallen. Ein ehemaliger Geschäftsführer von Galika in Russland sei gleichzeitig Direktor eines Rüstungsbetriebs gewesen. Die russischsprachige Galika-Webseite listete bis 2019 Kunden aus der Rüstungsindustrie auf.
Er sagt: «Vieles davon war öffentlich. Ich weiss nicht, was für eine Sorgfaltspflicht Georg Fischer hatte oder welche Priorität die Schweizer Behörden hatten, aber als ich mir das anschaute, war ziemlich schnell klar, was da vor sich ging.» Wieso Georg Fischer trotzdem so lange mit Galika zusammenarbeitete, lässt der Konzern auf Anfrage offen.
Ersatzteile im Privatgepäck
Eine Person, die in der Schweiz für Galika gearbeitet hat, berichtet unter Bedingung der Anonymität von weiteren ungewöhnlichen Vorgängen. Mitarbeiter hätten häufig Ersatzteile im Privatgepäck nach Moskau transportiert, ohne diese zu verzollen. «Und das waren dann nicht wenige Teile, sondern viele», behauptet sie.
SRF Investigativ hat die Verantwortlichen der Galika AG umfassend mit Fragen konfrontiert und erhielt keine Antworten. Einzig der ehemalige Verwaltungsratspräsident antwortet und weist die Vorwürfe zurück. Der Gründer Lino Derungs war trotz zahlreicher Bemühungen vor Redaktionsschluss nicht für eine Stellungnahme erreichbar. Gemäss Recherchen sitzt er in Moskau in Untersuchungshaft. Die Schweizer Galika befindet sich heute in Nachlassliquidation.
Galika-Netzwerk macht weiter
Doch es ist nicht das Ende des Galika-Netzwerks. Russische Ableger machen unter neuem Namen weiter und rühmen sich mit der Galika Firmengeschichte und ihren Schweizer Wurzeln. Auch heutige Verantwortliche waren teilweise schon damals für Galika in Russland tätig.
Man kann sich fragen: Was tut das SECO? Die Behörde schreibt: «Es muss jeweils im Einzelfall beurteilt werden, inwieweit im Ausland begangene Handlungen unter die schweizerische Gerichtsbarkeit und unter die Schweizer Sanktionsbestimmungen fallen.» Aktuell würden mutmassliche Verstösse von ausländischen Tochterfirmen von Schweizer Unternehmen untersucht. Bei den Galika-Nachfolgern dürften dem SECO die Hände gebunden sein. Sie haben ihren Sitz in Russland.
Es muss jeweils im Einzelfall beurteilt werden, inwieweit im Ausland begangene Handlungen unter die schweizerische Gerichtsbarkeit und unter die Schweizer Sanktionsbestimmungen fallen.
Das Beispiel zeigt, wie kompliziert die Durchsetzung internationaler Sanktionen ist. Trotzdem wirken sie. Mehrere Galika-Ableger in Russland wurden im Frühjahr 2024 von den USA sanktioniert, da sie die russische Militärindustrie unterstützt haben sollen. Einige davon sind in Konkurs. Das zeigen Akten aus russischen Gerichtsdatenbanken. Die Beschaffung der sanktionierten Güter scheint deutlich erschwert.
Doch Russland findet immer neue Schlupflöcher: Die russische Firma Maunder Maschinen versteht sich als Galika-Nachfolgerin. Maunder hat das Schweizer Kreuz im Logo und bietet über einen Webshop nach wie vor Maschinen von Georg Fischer an.
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Bild 1 von 2. Screenshot der Maunder Webseite vom 26. Februar 2025. Bildquelle: SRF.
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Bild 2 von 2. Die deutsche Version wurde automatisch übersetzt. Bildquelle: SRF.
Trotz der GF-Maschinen in ihrem Webshop: Maunder bestreitet gegenüber SRF Investigativ, dass sie Werkzeugmaschinen von Schweizer Marken liefern würde und diese über Drittländer beschaffe. Georg Fischer sagt: «Zu Maunder gibt und gab es keine Geschäftsbeziehung.»
Beim Werkzeugmaschinenhersteller GF Machining Solutions selbst ist aktuell viel im Umbruch. Das Mutterhaus Georg Fischer hat letzten Herbst den Verkauf der Maschinen-Division an die United Grinding Group angekündigt.
Die Verantwortung der Schweizer Hersteller
Unternehmen Schweizer Maschinenhersteller zu wenig gegen Umgehungsgeschäfte nach Russland, wie Selenski-Berater Podoljak sagt? Stefan Brupbacher, Direktor des Branchenverbands Swissmem widerspricht vehement. «Swissmem unterstützt Unternehmen unter anderem durch Schulungen, um missbräuchliche Weiterleitungen zu verhindern.»
In Einzelfällen sei es aber möglich, dass ausländische Käufer «mit viel krimineller Energie» die Sicherheitsmassnahmen durchbrechen. «Jede Firma, die betroffen ist, bedauert das. Wir als Verband bedauern das auch», so der Swissmem-Direktor.
SRF Investigativ fand keine Hinweise, dass Schweizer Hersteller selbst Umgehungsgeschäfte gemacht hätten. Aber Russland findet immer neue Wege: Gebrauchte Maschinen werden aus Drittländern importiert und mustmassliche Tarnfirmen bestellen neue Maschinen, die sie weiterverkaufen.
Die russischen Zolldaten ermöglichen erstmals einen Einblick in die Umgehungsgeschäfte mit Schweizer Maschinen. In den Zolldaten finden sich auch viele Ersatzteile. Die 100 Maschinen, ob alt oder neu, werden weiterlaufen, auch die in den Rüstungsbetrieben.
Die ganze Geschichte als Video finden Sie hier:
Den ersten Teil der Recherche über Schweizer Chips in russischen Drohnen finden Sie hier: