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Swiss-Tech in Putins Waffen Wie Schweizer Bauteile Russland im Krieg unterstützen

Obwohl Schweizer Firmen keine Mikroelektronik nach Russland liefern dürfen, landen ihre Bauteile in russischen Waffen – etwa in Shahed-Drohnen. Recherchen von SRF Investigativ zeigen: Sanktionen werden über Drittstaaten umgangen und manipulierte Daten sollen die Herkunft der Mikrochips verschleiern.

In Kiew besucht SRF Investigativ ein spezialisiertes Institut, das dem ukrainischen Justizministerium untersteht. Seit der Annexion der Krim untersucht es russische Waffensysteme, die im Ukrainekrieg eingesetzt werden. Nataliia Nestor ist stellvertretende Direktorin und erklärt: «Wir finden Komponenten aus der EU, den USA und auch aus der Schweiz.» 

2023 stammten, gemäss ukrainischer Schätzungen, fünf Prozent der westlichen Bauteile in russischen Waffen von Schweizer Herstellern. Über Drittstaaten wie China gelangten sie nach Russland. Eine Analyse von russischen Zolldaten, die SRF Investigativ gemacht hat, bestätigt diese Umgehungsgeschäfte.

Manipuliertes Herstellungsdatum

Zudem zeigt sich eine neue Methode zur Verschleierung von Lieferketten. Das Kiewer Institut hat kürzlich eine zerstörte Shahed-Drohne untersucht: Ein Schweizer Mikrochip im Kopf der Drohne trägt aussen gut sichtbar Mai 2021 als Herstellungsdatum. Der Chip wäre also vor dem Krieg produziert worden. Auf dem internen Speicher aber steht August 2024.

Mikrochip von U-Blox mit gefälschtem Herstellungsdatum

Herstellerin des Mikrochips ist wahrscheinlich die Zürcher Firma U-Blox. Zur Manipulation des Herstellungsdatums schreibt sie: «Es ist davon auszugehen, dass das Originallabel entfernt und ersetzt wurde, um den Verkäufer zu anonymisieren.» Bei Beginn des Krieges habe das Unternehmen alle Geschäftsbeziehungen nach Russland beendet.

Stellungnahme U-Blox

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Die Firma U-Blox mit Sitz in Thalwil im Kanton Zürich schreibt gegenüber SRF Investigativ, dass sie sich strikt an die Sanktionsvorgaben der EU und der Schweiz halte und die Lieferketten stets überprüfe.

Seit Beginn des Krieges habe das Unternehmen alle Geschäftsbeziehungen nach Russland beendet und kontrolliere seine Partner ausserhalb des Landes kontinuierlich, um mögliche Verstösse zu verhindern.

Im konkreten Fall der Datumsmanipulation erklärte U-Blox, dass das fragliche Modul vermutlich von ihnen stamme, eine eindeutige Identifikation jedoch ohne Tests nicht möglich sei. Das Label sei gefälscht, und die Modulnummer nicht von U-Blox vergeben worden. Das deute darauf hin, dass das Originaletikett entfernt wurde, um den Verkäufer zu verschleiern.

Umgehung der Sanktionen – trotz verschärfter Regeln 

Anfangs 2024 verschärften die EU und die Schweiz ihre Russland-Sanktionen: Hersteller von Mikroelektronik müssen ihre Handelspartner nun vertraglich verpflichten, nicht nach Russland zu liefern. SRF Investigativ fand keine Hinweise, dass Schweizer Hersteller selbst Umgehungsgeschäfte gemacht hätten. Trotzdem greifen die Regelungen bei dieser Massenware, die auch zivil genutzt wird, nicht konsequent.

Russische Zolldaten belegen, dass auch nach März 2024 Schweizer Bauteile in Russland landen: So finden sich dort knapp 30 Lieferungen mit Produkten der Zuger Firma Traco Power. Auf Nachfrage schreibt die Firma, sie halte sich an alle geltenden Verordnungen. Zudem seien ihre Produkte «nicht auf irgendwelchen Sanktionslisten aufgeführt».

Stellungnahme Traco Power

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Traco Power aus Baar im Kanton Zug betont, dass die Produkte des Unternehmens ausschliesslich für zivile industrielle Anwendungen bestimmt und weltweit über Distributoren erhältlich seien. Das Unternehmen beliefere seit Beginn des Ukraine-Krieges keine Embargoländer wie Russland oder die Ukraine und verpflichte auch seine Vertriebspartner, diese Einschränkungen einzuhalten.

Da ihre Produkte als industrielle Massenware weltweit frei erhältlich seien, könne Traco Power deren endgültige Verwendung nicht vollständig nachverfolgen. Weder DC-DC Wandler oder AC/DC Netzteile noch andere von Traco Power angebotene und vertriebene Produkte seien auf irgendwelchen Sanktionslisten aufgeführt. Zudem gäbe es zahlreiche gefälschte Traco-Power-Produkte, insbesondere aus China, die in russischen Waffen auftauchen könnten.

Seco mit Firmen «in Kontakt»

In den russischen Zolldaten finden sich nach den Sanktionsverschärfungen auch Bauteile von STMicroelectronics. Der Halbleiter-Hersteller aus dem Kanton Genf schreibt SRF Investigativ, er habe nach Ausbruch des Angriffskriegs 2022 die Compliance-Massnahmen verschärft: «Wir genehmigen oder dulden die Verwendung unserer Produkte ausserhalb ihres vorgesehenen Zwecks nicht.»

Stellungnahme STMicroelectronics

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STMicroelectronics mit Hauptsitz im Kanton Genf ist einer der grössten Halbleiterhersteller Europas und schreibt SRF Investigativ, die Firma habe ein globales Compliance-Programm zur Einhaltung von Handelsbestimmungen und Exportkontrollen, das Schulungen und Richtlinien für Vertriebspartner umfasse.

Seit Februar 2022 seien sämtliche Massnahmen zur Einhaltung von Sanktionen gegen Russland und Weissrussland umgesetzt, einschliesslich verschärfter Kontrollen und automatisierter Prüfverfahren.

Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) kontrolliert mögliche Sanktionsverstösse. Zu konkreten Fällen äusserst sich die Behörde nicht. Das Seco sei mit betroffenen Firmen «in Kontakt». Bislang gäbe es keine Verfahren gegen Hersteller von Mikroelektronik.

Stellungnahme Seco 

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Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) schreibt, dass die Behörde Warenströme analysiere und mit betroffenen Schweizer Unternehmen in Kontakt stehe, um die Umgehung von Sanktionen gegen Russland zu verhindern. Besonders problematisch seien industrielle Massengüter mit breiter ziviler Nutzung, die über internationale Distributoren gehandelt würden.

Exporte aus der Schweiz unterlägen strengen Kontrollen durch das Seco und das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit, wobei eine enge Zusammenarbeit mit internationalen Partnern bestehe.

Seit März 2024 seien Exporteure verpflichtet, die Wiederausfuhr sensibler Güter nach Russland zu untersagen. Zudem habe das Seco Verwaltungsstrafverfahren wegen Embargoverstössen eröffnet, bislang jedoch keines gegen einen Hersteller von Mikroelektronik. 

Unternehmen in der Verantwortung 

Umgehungsgeschäfte über Drittländer könnten kaum gänzlich verhindert werden, sagt Compliance-Expertin Katja Gloor von Transparency International Schweiz. Sie fordert: «Unternehmen müssen eine ethisch-moralische Verantwortung übernehmen, um Sanktionsumgehungen zu verhindern.»

Info3, 26.02.2025, 17 Uhr

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