Am 16. Februar 2024 starb Alexej Nawalny in einem russischen Straflager. Woran genau der russische Oppositionspolitiker gestorben ist, bleibt bis heute unklar. Recherchen legen nahe, dass er vergiftet wurde. Offiziell bestätigt ist das aber nicht, und so wird es wohl auch bleiben. Nawalny war die Gallionsfigur der russischen Opposition, auch international der bekannteste Kremlgegner. Wo stehen seine Bewegung und die russische Opposition ein Jahr nach Nawalnys Tod? Einschätzungen vom Russland-Korrespondenten.
Wurde der Jahrestag von Nawalnys Tod überhaupt begangen?
Ja, in Moskau haben einige hundert Menschen sein Grab besucht und Blumen niedergelegt. In mehreren anderen russischen Städten hat es kleine, inoffizielle Gedenkfeiern gegeben. In den Orten im Ausland, wo viele russische Oppositionelle im Exil leben, gab es auch Zusammenkünfte, in Berlin zum Beispiel. Ich kenne auch einige Menschen in Russland, die heute Abend bei sich zuhause mit Gleichgesinnten zusammenkommen, um auf Nawalny anzustossen.
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Bild 1 von 4. Ein Jahr nach dem Tod Alexej Nawalnys sind Hunderte Menschen an das Grab des Oppositionsführers gepilgert. Bildquelle: AP Photo, File.
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Bild 2 von 4. Die Menschen standen vor dem Friedhof im Süden Moskaus Schlange, um Nawalny die Ehre zu erweisen. Bildquelle: REUTERS/Evgenia Novozhenina.
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Bild 3 von 4. Sie legten Blumen auf dem Grab nieder. Bildquelle: EPA/MAXIM SHIPENKOV.
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Bild 4 von 4. Die Polizei gewährte ihnen Zutritt zum Borissowskoje-Friedhof, doch wurden die Trauernden von Beamten gefilmt, wie unabhängige Medien meldeten. Bildquelle: REUTERS/Evgenia .
Was sagen diese Gedenkfeiern über den Zustand der russischen Opposition?
Diese Zusammenkünfte überall in Europa führen vor Augen, dass es ein Jahr nach Nawalnys Tod niemanden gibt, der oder die seinen Platz eingenommen hat. Die russische Opposition im Exil ist hoffnungslos zerstritten. Es laufen verschiedene parallele und meist sehr kleinliche interne Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Fraktionen der liberalen Opposition. Darunter leidet auch Julia Nawalnaja, Nawalnys Witwe, die eigentlich seine Rolle in der Bewegung hatte übernehmen wollen. Aber weder sie noch sonst eine Figur sind in der Lage, dieselbe Bedeutung anzunehmen, die er hatte.
Warum kann niemand Nawalny ersetzen?
Alexej Nawalny war die einzige Figur, die wirklich Leute aus allen Lagern der Opposition ansprechen konnte. Sein Tod hat sehr vielen Menschen die Hoffnung auf ein zukünftiges demokratisches Russland genommen. Als er noch lebte, schien es vielen Menschen wenigstens nicht unmöglich, dass ein anderes, gerechteres Russland existieren könnte, dass sich die Leute hinter einer demokratischen Figur vereinen könnten. Mit Nawalnys Tod starb auch diese Hoffnung, weil es eben schlicht keine andere solche Figur gibt.
Ist Putins Repressionsstrategie also komplett aufgegangen?
Grundsätzlich ja. Noch vor dem Grossangriff auf die Ukraine haben die russischen Behörden Nawalnys landesweite Organisation zerschlagen – das hat es dann sehr schwer gemacht, Menschen für Proteste gegen den Krieg zu mobilisieren. Und jetzt kann sowieso beinahe jede Form von Protest sehr schwere Konsequenzen haben.
Wie sieht die Zukunft aus?
Erst letzten Monat wurden drei von Nawalnys Anwälten zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt, weil sie, indem sie ihn vor Gericht verteidigt haben, angeblich eine «extremistische Organisation» unterstützt haben. Die Opposition im Exil ist frustriert, hat keinen Plan, wie sie irgendetwas gegen den Kreml unternehmen kann. Das ist auch ein Grund, weshalb sie innerhalb der eigenen Reihen nach Schuldigen suchen und einander heftig kritisieren. Und das lässt dann die Basis in Russland und ausserhalb verzweifeln. Ohne Nawalny befindet sich die Opposition sozusagen in einem Teufelskreis und ist für Putin so harmlos wie nie zuvor.