Südafrika liegt mit seinen Covid-19-Infektionszahlen mittlerweile weltweit auf Platz fünf. Über 630'000 Menschen sind infiziert und 14'000 sind gestorben. Während sich alle auf das Coronavirus konzentrieren, geht die weltweit gefährlichste Pandemie vergessen – die Tuberkulose.
In Südafrika sterben täglich rund 180 Menschen an Tuberkulose. Im Jahr 2018 zählte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 64’000 Personen, die an der bakteriellen Lungeninfektionskrankheit starben.
In Europa ist die Krankheit längst verschwunden – nicht nur, weil sie sich behandeln lässt, sondern auch, weil sich die Lebensbedingungen erheblich verbessert haben.
Auch wenn Tuberkulose heilbar ist, kann diese Krankheit nicht ausgerottet werden, solange sich an den Lebens- und Wohnbedingungen nichts ändert.
In Südafrika leben nach wie vor Millionen von Menschen zusammengepfercht auf engstem Raum, mit schlechten Belüftungsbedingungen und gerade genug Geld für einen Laib Brot am Tag. Das Leben in den Slums begünstigt nicht nur die Verbreitung des Coronavirus, sondern auch von Tuberkulose, denn die Übertragungswege sind sehr ähnlich.
Krankheit der Armen
Mmapula Mkhabela ist eine 34-jährige Tuberkulose-Patientin. Sie teilt sich ein einziges Zimmer mit ihren beiden Kindern. Sie lebt in einer Blechhütte nördlich von Pretoria und wurde von ihrer eigenen Familie wegen ihrer Krankheit verstossen.
Ohne staatliche Kindergelder könnte sie nicht überleben. Mmapula Mkhabela hat die Aussicht auf Heilung, doch sie weiss, wie schwierig es für viele Patienten ist, das Geld für einen Transport ins Spital zusammenzukratzen.
Sie fühlt sich von der Regierung vernachlässigt, die Millionen von Franken in den Kampf gegen Covid-19 steckt. «Tuberkulose ist eben eine Krankheit der Armen. Ich habe während des Lockdowns einige gesehen, die daran gestorben sind, weil sie ihre Medikamente nicht mehr eingenommen haben. Das interessiert jedoch niemanden», sagt Mkhabela mit Resignation in der Stimme.
Der Sozialarbeiter Frans Magwele, der sie regelmässig besucht und überprüft, ob sie ihre Medikamente einnimmt, erklärt: «Seit Covid-19 wagen es viele Menschen nicht mehr, ihre Medikamente im Spital abzuholen. Sie haben Angst, angesteckt zu werden oder, falls sie husten, als Covid-19-Patienten abgestempelt zu werden.»
Tuberkulose-Expertin Linda-Gail Bekker bestätigt, dass die Tuberkulose-Diagnosen während des Lockdowns um 50 Prozent zurückgegangen sind. Die Professorin arbeitet seit Jahren für die Desmond-Tutu-Stiftung und weiss sehr genau, wovon sie spricht. Auch sie erklärt sich das Ausbleiben der Tuberkulose-Patienten mit deren Angst vor Covid-19.
«Die Konsequenzen einer unterbrochenen medikamentösen Behandlung von Tuberkulose sind fatal. Viele Patienten entwickeln Resistenzen, andere sterben», sagt Bekker. Sie ist überzeugt, dass unter den vielen unerklärlichen Todesfällen in den letzten Monaten überdurchschnittlich viele Tuberkulose-Todesfälle sind.
«Ich wünschte mir, dass Tuberkulose nur halb so viel Aufmerksamkeit erhalten würde wie Covid-19», sagt Bekker. «Vielleicht wird das mit einer intensivierten Debatte um Pandemien auch geschehen. Denn machen wir uns nichts vor: Tuberkulose ist die grösste Pandemie weltweit. Es ist unerklärlich, dass dies von der Weltgemeinschaft einfach so hingenommen wird.»