Nach den Rücktritten von Brexit-Minister David Davis und Aussenminister Boris Johnson stellt sich die Frage, wie fest die britische Premierministerin Theresa May noch im Sattel sitzt.
Sicher ist: Ihre Zukunft als Regierungschefin ist unklar. Und keinesfalls sei sicher, dass die EU ihren Vorschlag zu den künftigen Wirtschaftsbeziehungen akzeptieren werde. Das jedenfalls sagt der Grossbritannien-Experte Gerhard Dannemann.
SRF News: Wie stark steht Premierministerin Theresa May nach den Rücktritten von Johnson und Davis noch da?
Gerhard Dannemann: Es wird für May eine sehr kritische Woche. Sie muss eine Revolte der Hinterbänkler aus den eigenen Reihen befürchten. Diese könnten versuchen, sie mit einem Misstrauensvotum zu stürzen. May muss deshalb ihre Unterstützer sammeln und verhindern, dass sie ihren Job als Premierministerin verliert.
Die kommenden Tage werden darüber entscheiden, wie die Mehrheiten für und gegen May liegen.
Gibt es unter Mays Parteigenossen im Unterhaus potenziell eine Mehrheit, die ein Misstrauensvotum gewinnen könnte?
Eigentlich gäbe es genügend Tories, die sich als Anhänger eines harten Brexit geoutet haben, die potenziell also gegen May stimmen könnten. Allerdings hat es May offenbar geschafft, die Brexit-Befürworter zu spalten. Manche von ihnen unterstützen Mays Kompromissvorschlag – sie bleiben in der Regierung eingebunden. Der andere Teil lehnt den Kompromiss grundsätzlich ab. Die kommenden Tage werden darüber entscheiden, wie die Mehrheiten genau liegen.
Der neue Aussenminister Jeremy Hunt hatte sich vor der Volksabstimmung gegen den Brexit geäussert, wie May selber auch. Heisst das, dass es jetzt zu einem weichen Brexit kommt?
Die Regierung von Theresa May stand vor einem Dilemma, das sie so lange wie möglich hinausgeschoben hat: Man wollte einen harten Brexit, aber eine Verhärtung der Grenze zu Irland durfte es nicht geben, ebenso keinen Sonderstatus für Nordirland. Diese drei Dinge sind eigentlich unvereinbar. Jetzt wurde zumindest einer der Punkte aufgelöst.
Falls Mays Vorschlag in Brüssel Gehör findet, verlieren die Befürworter eines harten Brexit an Boden.
Und falls der Regierungskompromiss vom vergangenen Freitag in Brüssel Gehör findet, verlieren die Befürworter eines harten Brexit tatsächlich an Boden. Aussenminister Hunt war vor dem Referendum gegen einen Brexit, inzwischen ist er aber dafür. Trotzdem weisen die Brexiteers zurecht darauf hin, dass jetzt alle wesentlichen Ministerämter in der Hand von Leuten sind, die vor dem Brexit-Votum für den Verbleib Grossbritanniens in der EU waren. Einzige Ausnahme bildet der neue Brexit-Minister Dominic Raab, der schon immer klar für einen EU-Austritt war.
Wird es nun weniger Auseinandersetzungen innerhalb der Regierung geben, da die meisten Kabinettsmitglieder für einen weichen Brexit sind?
Die in der Regierung verbleibenden drei bis vier Brexit-Hardliner werden besonders gut darauf achten, dass man der EU bei den Verhandlungen jetzt nicht in weiteren Punkten nachgibt. Das Störfeuer aus der britischen Regierung wird also vorerst weitergehen. Auch ist noch völlig unklar, ob Brüssel den Vorschlag der britischen Regierung annehmen wird. Bislang hatte die EU darauf bestanden, dass sich die vier Grundfreiheiten – freier Warenverkehr, freier Personenverkehr, freier Dienstleistungsverkehr, freier Kapitalverkehr – nicht auseinanderdividieren lassen. Die britische Regierung will in Zukunft aber bloss die Warenfreiheit mit der EU.
Können die Brexit-Verhandlungen mit der EU jetzt also in die entscheidende Phase gehen?
Mehr als zwei Jahre nach dem Referendum liegt nun eine Stellungnahme der britischen Regierung vor, in welcher Art sie sich die Handelsbeziehungen mit der EU nach dem Austritt aus der Union vorstellt. Endlich kann man also anfangen zu verhandeln. Doch dafür steht nur sehr wenig Zeit zur Verfügung.
Für die Verhandlungen steht jetzt sehr wenig Zeit zur Verfügung.
Bis Oktober oder spätestens November sollten die wesentlichen Details genagelt sein. In der angestrebten Transitphase bis zum endgültigen Austritt Grossbritanniens aus der EU kann man nicht mehr über Grundsätzliches verhandeln. Trotzdem ist Brüssel jetzt wohl erleichtert, dass endlich ein Plan der britischen Regierung vorliegt, über den man verhandeln kann.
Das Gespräch führte Hans Ineichen.