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Übergangsregierung in Kabul «Die alte Garde der Taliban hat sich durchgesetzt»

Die ausländischen Truppen sind draussen, die alte Regierung weg, die Taliban zurück: Offen blieb allerdings die Frage, wie Afghanistan in Zukunft regiert werden soll. Nun haben die militant-islamistischen Taliban einen Teil ihrer Übergangsregierung bekanntgegeben. SRF-Korrespondent Thomas Gutersohn sagt, was über die neue Führung bekannt ist – und in welche Richtung das Land nun gehen könnte.

SRF News: Wer ist in dieser Regierung?

Thomas Gutersohn: Wichtig ist erst einmal zu wissen, dass es sich um eine Übergangsregierung handelt, die die Taliban präsentiert haben. Diese besteht ausschliesslich aus Taliban-Anführern. Zum Zug kam vornehmlich die alte Garde, der eher religiöse, konservative Flügel der Taliban. Chef dieser Übergangsregierung wird Mohammed Hassan Achund sein. Im Westen ist er nicht sehr bekannt. Während der ersten Herrschaft der Taliban war er bereits Aussenminister und er ist ein enger Vertrauter von Hibatullah Akhundzada, dem Führer der Taliban-Bewegung.

Baradar im März 2021 mit einer Delegation in Moskau
Legende: Zu einem von zwei Stellvertretern Achunds wurde Mullah Abdul Ghani Baradar (vorne im Bild) ernannt, der bisherige Vizechef der Taliban, der 2020 für die Taliban das Abkommen mit den USA über ein Ende des US-geführten Militäreinsatzes in Afghanistan unterzeichnet hatte. Keystone/Archiv

Bekannter im Westen ist Abdul Ghani Baradar. Er soll nur Stellvertreter von Achund werden. Innenminister soll Siradschuddin Hakkani werden, der Anführer des Hakkani-Netzwerks. Die USA stufen das Hakkani-Netzwerk als terroristische Gruppierung ein.

Es sind also alles Mitglieder der Taliban. Heisst das, die Taliban sind nicht bereit, die Macht zu teilen?

Zumindest zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Aber ich glaube, dass die Taliban nun eine Übergangsregierung gebildet haben, hat vorderhand damit zu tun, dass sie erst einmal Ruhe und Ordnung in Afghanistan schaffen wollen. Zeitweise ist die Situation in Kabul aus dem Ruder gelaufen, es gab immer wieder Zwischenfälle. Es fehlte an Führung und Leitlinien. Das versuchen die Taliban nun zu gewährleisten.

Es ist möglich, dass etwas anderes aus der Übergangsregierung entstehen kann. Ob es eine Demokratie wird, eine Republik oder ein Emirat – all das ist noch offen.
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Dass nun eine Übergangsregierung ernannt wurde, lässt Raum dafür offen, dass in Zukunft eine echte Regierung ernannt werden wird – in der womöglich nicht nur Taliban und auch Frauen vertreten sein werden. Das alles ist noch unklar. Aber es ist möglich, dass etwas anderes daraus entstehen kann. Ob es eine Demokratie wird, eine Republik oder ein Emirat – all das ist noch offen.

Drei Wochen hat es gedauert, um diese Übergangsregierung zu bilden. Warum so lange?

Es wurde viel diskutiert. Schon letzten Freitag war davon die Rede, dass die Regierung zustande kommen soll. Jetzt hat es einige Tage länger gedauert. Das hat damit zu tun, dass intensiv verhandelt wurde und es auch zu Spannungen zwischen den verschiedenen Flügeln der Taliban kam. Nun scheint sich der religiöse Flügel, die alte Garde der Taliban und die eigentlichen Anführer der Bewegung, durchgesetzt zu haben.

Das Gespräch führte Simone Hulliger.

Echo der Zeit, 07.09.2021, 18 Uhr ; 

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