In gut einer Woche beginnt auf dem Bürgenstock die Ukraine-Konferenz. Die Schweizer Diplomatie arbeitet auf Hochtouren für einen reibungslosen Ablauf. Doch was wird die Konferenz bringen? Wolfgang Ischinger, ehemaliger Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, dem weltweit wichtigsten Sicherheitstreffen, ordnet die aktuelle Gästeliste und deren Bedeutung ein.
SRF News: Russland wird nicht an der Ukraine-Konferenz teilnehmen. Ist sie deshalb schon zum Scheitern verurteilt?
Wolfgang Ischinger: Nein, das sehe ich überhaupt nicht so. Man kann nicht erwarten, dass dieses Ereignis in Moskau Freude auslöst. Ganz im Gegenteil. Die russische Seite setzt alle diplomatischen Mittel ein, um andere davon zu überzeugen, nicht auf den Bürgenstock zu gehen. Damit muss man leben, das gehört zum diplomatischen Alltag.
So wie es derzeit aussieht, wird US-Präsident Biden nicht kommen, dafür aber seine Nummer zwei, Kamala Harris. In der US-Regierung gilt sie nicht als aussen- und sicherheitspolitisches Schwergewicht. Wie bewerten Sie das?
Das würde ich nicht sagen. Kamala Harris hat in den letzten Jahren an aussenpolitischem Profil gewonnen und ist sicherer geworden. Aber natürlich wäre es noch besser gewesen, wenn Joe Biden persönlich gekommen wäre. Es ist aber ein starkes Zeichen, dass Kamala Harris kommt und der Besuch an der Konferenz nicht an den Aussenminister oder den Verteidigungsminister delegiert wurde.
Die Teilnahme von Indien, China und Brasilien war aufgrund ihres Einflusses auf Russland als wichtig erachtet worden. Nun hat aber nur Indien zugesagt. Schwächt das den Gipfel?
Natürlich wäre es schön gewesen, wenn insbesondere China an der Ukraine-Konferenz teilgenommen hätte. Ich selbst war vor wenigen Wochen in Peking und habe dort mit führenden chinesischen Politikern sprechen können, auch mit dem Aussenminister. Es hat mich daher überhaupt nicht überrascht, dass gerade von chinesischer Seite die Frage aufgeworfen wurde, welchen Sinn die Ukraine-Konferenz hat, wenn der Konfliktgegner Russland nicht teilnimmt.
Ich kann mir vorstellen, dass in China lange und intensiv diskutiert wird, wie man mit dem Thema Bürgenstock umgehen will.
Ich habe aber bis heute die Hoffnung, dass China vielleicht doch seinen Sondergesandten für die Ukraine-Krise in die Schweiz entsendet. Nach meiner Einschätzung muss man nämlich in Zukunft davon ausgehen, dass China bei europäischen Konflikten und Konfliktlösungsversuchen dabei sein will. Deshalb kann ich mir vorstellen, dass in China lange und intensiv diskutiert wird, wie man mit dem Thema Bürgenstock umgehen will.
Ist das nicht ein Widerspruch? China steht Russland nahe und will gleichzeitig aktiv an der Lösung von Konflikten in Europa mitwirken?
Nicht unbedingt. China konkurriert weltpolitisch mit den USA. Und die USA unterstützen die Ukraine. Deshalb sehe ich grundsätzlich kein Problem, wenn China trotz seiner relativen Nähe zu Russland Interesse an einer solchen Konfliktlösungsoperation bekundet und künftig mitreden will. Sonst hätte China nicht vor zwei Jahren seinen 12-Punkte-Plan für die Ukraine veröffentlicht. Das machen sie nicht aus Jux und Tollerei. Wir müssen davon ausgehen, dass ohne China in Zukunft nichts mehr geht.
Aus dem Tagesgespräch mit David Karasek, Mitarbeit Géraldine Jäggi.