Normalerweise werden Nato-Ministertreffen während Monaten vorbereitet. Doch diesmal musste es ganz schnell gehen. Denn die westliche Militärallianz sieht den russischen Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze als bedrohlich an. Deshalb trommelte sie kurzfristig die Verteidigungs- und gleich auch noch die Aussenminister der 30 Nato-Staaten zu einer virtuellen Sitzung zusammen.
Noch weiss niemand, was genau Russland wirklich beabsichtigt. Möglicherweise hält sich der Kreml selber die Antwort noch offen. Ist es bloss ein Säbelrasseln, um die Entschlossenheit des neuen US-Präsidenten Joe Biden zu testen? Geht es um eine schleichende Annexion der ostukrainischen Donbass-Region? Oder bereitet Moskau einen offenen Krieg vor – was vorläufig weder russische noch westliche Beobachter für wahrscheinlich halten?
Jedenfalls löste bereits im März Präsident Wladimir Putins Bemerkung Irritation aus, man sehe die Länder an Russlands Westgrenze nicht nur als geografische Nachbarn, sondern als «unsere Brüder». Der ukrainische Aussenminister Dmytro Kuleba machte jetzt beim Besuch im Nato-Hauptquartier in Brüssel klar: Sein Land gehöre zum Westen und nicht zur «russischen Welt».
Ukraine erhofft sich militärische Hilfe
Wegen des russischen Truppenaufmarschs sucht die Ukraine die Rückenstärkung durch die Nato. Bereits jedes unterstützende Wort werde geschätzt, sagt Kuleba. Aber eigentlich erhofft man sich wesentlich mehr. Nämlich praktische, sprich: vor allem militärische Hilfe. Waffen. Soldaten. Am liebsten gleich die Nato-Mitgliedschaft.
Eine sogenannte «Aufnahmeperspektive» wurde der Ukraine schon 2008 versprochen. Jedoch vage und ohne Datum. Dennoch hofft der Aussenminister, früher oder später werde man dazugehören. Im Moment sieht es nach später aus.
Zwar bekommt die Ukraine bereits heute westliche Waffen, hilft ihr die Nato bei der Modernisierung der Streitkräfte, in der Ausbildung, führt sie gemeinsam mit ihr Manöver durch. Für Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg ist ein ukrainischer Nato-Beitritt grundsätzlich denkbar und vor allem: Russland habe da kein Vetorecht.
Nato will Probleme nicht erben
Aber entscheiden über einen Beitritt müssen die Nato-Mitgliedsländer. Sie wollen keine Neumitglieder mit Territorialkonflikten und ungeklärten Grenzziehungen. Anders ausgedrückt: Die Allianz will weder das Krim- und das Donbass-Problem erben.
Angesichts des aktuellen russischen Truppenaufmarschs teilen zwar die meisten Nato-Staaten die Besorgnis der ukrainischen Regierung, nicht zuletzt der wichtigste, die USA. Sie bekennen sich entschieden zur Souveränität der Ukraine. Bloss: Es sind eben nur Worte und nicht die Taten, das klare militärische Bekenntnis, das Kiew gerne hätte.
Kaum ein Mitgliedsstaat will Opfer riskieren
Die Nato steckt im Dilemma: Reagiert sie auf den russischen Militäraufmarsch allzu forsch, könnte sich umgekehrt Russland provoziert fühlen und zum Angriff blasen. Reagiert sie indes zu lau, dürfte das Moskau ermuntern, die schleichende Übernahme von Teilen der Ukraine voranzutreiben – Gelegenheit macht Diebe.
Klar ist: Kaum ein Nato-Staat ist bereit, für die Ukraine Krieg zu führen, Opfer zu riskieren. Das war schon 2014 nach der Annexion der Krim so. Und daran hat sich nichts geändert.