Als sich Anastasiia Yushchenko und ihr Ehemann Andriy verabschiedeten, sagte er: «Ich habe dich geliebt.» Ein Satz in Vergangenheitsform. Denn Andriy zog an die Front. «Ich sagte zu ihm, er dürfe so etwas nicht sagen. Er müsse zurückkommen», erzählt Anastasiia in der «Rundschau».
Die junge Mutter lebt mit ihren zwei Töchtern in Frutigen (BE). Eine Wohnung mit eineinhalb Zimmern, überall liegen Spielsachen, draussen hohe Berge. Sie kommen aus der Grossstadt, aus Kiew. «Ich habe viel gearbeitet. Mein Mann hat sich währenddessen um die Kinder gekümmert», sagt Anastasiia.
Kämpfen für die Familie
Der Krieg riss die Familie auseinander. Jetzt hebt Andriy im Osten Schützengräben aus. Die «Rundschau» trifft ihn an seinem freien Tag in Kiew. Er kämpfe gegen den Feind, damit seine Familie wieder in die Ukraine zurückkehren könne und sie zusammen wieder ein normales Leben führen könnten.
Andriy erzählt von der Front: «Die Stille ist beängstigender als Explosionen. Denn wenn sie plötzlich aufhören, dich zu beschiessen, weisst du, dass sie etwas Grosses planen.»
In diesen Momenten starrt Anastasiia in der Schweiz auf ihren Handybildschirm und wartet – auf ein Lebenszeichen. «Manche Menschen verstehen nicht, warum ich manchmal emotional reagiere oder weine. Weil ich jeden Tag damit rechnen muss, dass ihm etwas passiert», sagt sie.
Telefonieren von der Front
In der Weihnachtszeit fällt die Trennung von der Familie besonders schwer. Auch Tamara Muravytskas Mann ist Soldat in der Ukraine, ein Offizier. Sie ist mit ihrer Tochter Margarita nach Wettingen (AG) geflüchtet. Sie erzählt: «Ich wollte meinen Mann nicht zurücklassen. Aber gleichzeitig sah ich meine Tochter an und wusste, ich würde es mir nie verzeihen, wenn ihr etwas zustossen würde.»
Als sie in der Schweiz ankam, war Tamara schwer traumatisiert. «Meine Tochter wurde nachts von meinem Geschrei wach. Sie schüttelte mich und sagte: Mama, ist schon gut.»
Ihr Mann Maksym schickt ihr Videos von der Front. Sie telefonieren, wann immer es geht. «Ich habe darauf bestanden, dass sie flüchten. So muss ich nicht jeden Morgen ausfindig machen, ob unser Haus noch steht und sie in Sicherheit sind», sagt er.
Sie versuchen, ihr Leben in der Schweiz Schritt für Schritt aufzubauen. Margarita besucht einen lokalen Schwimmclub – in der Ukraine machte sie Leitungssport. Doch das Heimweh holt sie immer wieder ein. Besonders jetzt. «Wir spüren die Weihnachtsstimmung um uns herum», sagt Tamara. «Aber wir fühlen sie nicht in unseren Herzen.»