Ein Festival mit historischen Kostümen in einem Moskauer Park. Es wird getanzt. Schach gespielt. Eine junge Frau wirft sich in Pose für ein schönes Foto. Der Krieg scheint weit weg an diesem Nachmittag. Das sagen auch Festivalbesucher. «Die Stimmung ist gut. Wir Russen sind so: Wir lassen uns nicht entmutigen», erklärt Ärztin Olga, die mit ihrem Mann an das Fest gekommen ist.
Die Moskauerin im Pensionsalter erzählt weiter, dass sie die russische Armee unterstütze, immer wieder Päckchen an Soldaten schicke. «Und», sagt sie ganz auf Kremllinie, «es ist ja kein Krieg, sondern eine militärische Spezialoperation. Diese muss zu Ende gehen, aber erst müssen wir unsere Territorien zurückholen.»
Auch Michail, der mit Frau und Kind unterwegs ist, wünscht sich ein Ende dieses, wie er sagt, «Bruderkrieges». Wobei er auch dafür ist, dem Westen erst noch eins auszuwischen, weil dieser die Ukraine unterstützt. Michails Frau Ludmilla ist dagegen erleichtert, dass Russland so gross ist. Denn: «Je näher man an der Grenze zur Ukraine wohnt, desto mehr Stress hat man. Aber hier in Moskau tut die Regierung alles, damit uns das möglichst wenig betrifft.»
Die Russen stehen hinter dem Krieg – auch wenn viele froh sind, möglichst wenig damit zu tun zu haben. Das bestätigt Aleksei Levinson, einer der letzten unabhängigen Soziologen Russlands, der für das renommierte Levada-Zentrum den Russinnen und Russen den Puls fühlt. «Zu Beginn des Krieges haben über 80 Prozent Wladimir Putin unterstützt, und fast so viele unterstützten die Armee. Daran hat sich seither kaum etwas geändert.»
Russen sind für Krieg und Frieden gleichzeitig
Forscher Levinson hat allerdings eine Besonderheit festgestellt: Viele Befragte würden sagen, sie unterstützen den Krieg. «Aber genau die gleichen Leute sagen auch, sie seien für Friedensverhandlungen.» Die Russen sind also für Krieg und Frieden gleichzeitig. Ein Widerspruch. Aber nur ein scheinbarer. Denn: Die meisten Russen wollen ein Ende des Krieges zu russischen Bedingungen. Das heisst: einen Sieg.
Die Gründe für diese solide Unterstützung sind vielfältig. Klar, in Russland kann man ins Gefängnis wandern, wenn man sich öffentlich gegen den Krieg wendet. Kremlkritiker schweigen lieber. Dennoch zeigen der Augenschein im Park und erst recht die Zahlen des Levada-Zentrums ein realistisches Bild von der Stimmung.
Da ist einerseits die staatliche Propaganda, die wirkt. Russland stellt sich als Opfer dar, das sich bloss verteidige. Dieses Narrativ ist gemütlich, es zu glauben praktisch. Denn wer sich eingestehen würde, dass es Russland war, das den grössten Krieg seit 1945 auf europäischem Boden losgetreten hat, der käme in ein moralisches Dilemma. Man müsste sich dann ja eigentlich gegen die Staatsmacht stellen – und gegen die Mehrheit seiner Mitbürgerinnen und Mitbürger.
Zudem hat der Krieg einen tief verankerten Nationalismus wiederbelebt. Viele Russen sagen sinngemäss: Wenn schon mal Krieg herrsche, dann müsse man ihn nun eben erfolgreich zu Ende führen. Forscher Levinson formuliert es so: «Für eine Mehrheit der Russen wäre eine militärische Niederlage unerträglich.»