Es herrscht Ausnahmezustand in Europa. Das transatlantische Bündnis bröckelt, Trump und Putin verhandeln über das Schicksal der Ukraine, und von London über Paris bis nach Berlin setzt sich die Gewissheit durch: Europa muss seine Freiheit und Demokratie wieder selbst verteidigen – und massiv aufrüsten.
Abwinde dieses geopolitischen Sturms pfeifen derzeit auch durch die Kammern des Parlaments. SP-Nationalrat Fabian Molina und GLP-Amtskollegin Corina Gredig verlangten, die Ukraine-Hilfe mit einer «ausserordentlichen Ausgabe im schweizerischen Eigeninteresse» aufzustocken.
Die beiden verstanden ihre Vorstösse auch als Schweizer Bekenntnis zur europäischen Solidarität: «Die Ukraine ist heute die erste Verteidigungslinie Europas. Diese müssen wir stärken», sagte Molina. Durch den «Verrat der neuen US-Administration» habe die Verteidigungslinie deutliche Risse erlitten.
Molina fügte an, dass seit dem Amtsantritt von Donald Trump der Ukraine budgetäre, humanitäre und militärische Hilfe gekürzt worden seien. Viele umliegende Länder hätten ihre Ukraine-Hilfe verstärkt – die Schweiz leider nicht.
Wie Zahlen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft zeigten, liegt die Schweiz im Vergleich zu ihrer Wirtschaftsleistung auf Rang 33 von 40 Staaten – unter Berücksichtigung, dass die Schweiz aus Neutralitätsgründen keine Waffen liefert. Alleine bei der humanitären Hilfe belegt sie Platz sechs.
Das Erbe einer Politikergeneration
Neutralität heisse nicht Gleichgültigkeit, merkte Corina Gredig an. Der Umstand, dass die Schweiz keine Waffen liefern dürfe, verpflichte sie umso mehr zu humanitärer Verantwortung. Gredig redete den Ratsmitgliedern ins Gewissen: Wie erklärten sie künftigen Generationen, was sie 2025 eigentlich getan hätten?
Der St. Galler SVP-Nationalrat Lukas Reimann konterte: «Wenn die Jungen in Zukunft hier sitzen, die Schweiz völlig überschuldet ist und sie Geld zurückbezahlen muss, dann ist das wahrscheinlich nicht das Beste.» Es könne zudem nicht die Rede davon sein, dass die Schweiz nichts mache, fügte Reimann hinzu.
Aussenminister Ignazio Cassis blies ins gleiche Horn. Er erinnerte daran, dass die Schweiz bisher schon fast 4.4 Milliarden Franken für die Ukraine ausgegeben habe. Ausserdem seien die beiden Motionen bereits zwei Jahre alt und damit «sozusagen materiell überholt».
«Wie können Sie das sagen?», fragte Molina sichtlich genervt. Er sei jüngst in der Ukraine gewesen und habe vom UNO-Flüchtlingshilfswerk vernommen, dass 40 Prozent ihrer Finanzierung durch den Stopp der US-Zahlungen weggefallen sei. Zudem sei ein beträchtlicher Teil der vom Bundesrat angekündigten Hilfen noch nicht ausfinanziert.
Vorstösse abgelehnt
Cassis betonte, das Parlament habe im Rahmen der Budgetdebatte im letzten Jahr bereits 1.5 von 5 Milliarden Franken für den Wiederaufbau der Ukraine gesprochen. In der Vergangenheit seien auch bereits ausserordentliche Hilfen gebucht worden, nämlich ein «guter Teil» der 4.4 Milliarden für die Aufnahme von ukrainischen Geflüchteten. Doch der Bundesrat wolle diese Ausgaben reduzieren.
Der Rat folgte dem Bundesrat und der Mehrheit seiner zuständigen Kommission: Die Vorstösse von Molina und Gredig wurden mit 111 zu 73 Stimmen und 4 Enthaltungen abgelehnt.