Lew Gudkow, der Chef des einzigen einigermassen unabhängigen russischen Umfrageinstituts Lewada, gab jüngst viele Interviews. Und sagte stets: Eine klare Mehrheit der Russinnen und Russen stehe hinter Präsident Wladimir Putin. Indem er ihnen einen mächtigen Feind liefert – den Westen –, lässt er sie selber als stark erscheinen. Zwar begrüsst nur ein Drittel der Befragten den Krieg gegen die Ukraine. Doch zwei Drittel glauben an einen russischen Sieg.
Dmitri Muratow, den langjährigen Chefredaktor der «Nowaja Gaseta» und Friedensnobelpreisträger, erstaunt das nicht: «Die russische Bevölkerung sieht sich alleingelassen mit der Staatspropaganda. Der Genozid an den freien Medien ist inzwischen abgeschlossen», drückt er es drastisch aus.
Kritische Journalisten «in Lebensgefahr»
Zwischen einer und zwei Millionen Russinnen und Russen verliessen nach dem Überfall auf die Ukraine ihr Land. Darunter mehrere hundert, womöglich über tausend Journalisten. Einer von ihnen ist Verleger Sergej Parkhomenko, der heute in Paris lebt. Im Wiener Presseclub Concordia schildert er einen seit einem Vierteljahrhundert dauernden Prozess, freie Medien zum Verstummen zu bringen: «Kritische Journalisten gelten im heutigen Russland als Verbrecher. Der Druck ist enorm, sie befinden sich in Lebensgefahr.»
Iwan Kolpakow, Mitgründer der mittlerweile von Riga aus operierenden Informationsplattform «Medusa», räumt ein: «Wir haben das Regime zu lange unterschätzt. Noch vor zehn Jahren gab es zumindest für Onlinemedien Spielraum.»
Journalismus im Heimlichen
Doch dank chinesischer und iranischer Hilfe sei das jetzt anders. Die Kontrolle werde immer schärfer. Westliche Tech-Konzerne wie Google oder Apple, die den russischen Markt nicht ganz verlieren wollten, machten willfährig mit.
Um überhaupt noch verlässliche Informationen aus Russland zu erhalten, baute «Medusa» ein – laut Eigenbezeichnung – journalistisches Guerilla-Netzwerk auf: «Es ist nur noch so möglich.» Medienschaffende geben sich bei jeglichen Recherchen nicht mehr als solche zu erkennen. Die Lieferung der Informationen erfolgt heimlich.
Ob es um den Krieg geht, die Mächtigen im Kreml, Korruption, aber auch um die Wirtschaft – alles gilt heute als sensibel. Dennoch spricht die Umweltjournalistin Angelina Davydova, die in Berlin lebt, nicht von einer völligen Wüste. «Noch lässt das Regime in Moskau Nischen zu, wohl damit die Leute Dampf ablassen können. Ich kann über Umweltprobleme berichten.»
Bloss: Welches Publikum erreichen russische Exilmedien überhaupt? «Das ist tatsächlich unser Hauptproblem», räumt Sergej Parkhomenko ein. Zumal die russische Exilgemeinde über viele Länder verstreut lebe. Manche hätten sich dort dauerhaft eingerichtet und seien nicht mehr interessiert, in ihrer Heimat etwas zu bewegen. Daher fehle eine Exilöffentlichkeit mit Gewicht.
Wer heute als russischer Exiljournalist tätig sei, sehe sich in der Verantwortung, zum Ende des Kriegs, zur Demokratisierung Russlands beizutragen. Doch sofern Exilmedien trotz Zensur und Internetüberwachung überhaupt noch zum Publikum in Russland durchdrängen, stiessen sie mehr und mehr auf Informationsverweigerer, berichtet Iwan Kolpakow. Es sei bequemer und besser fürs Gemüt, sich bloss noch von staatlichen und staatsnahen Medien berieseln zu lassen und Fakten auszublenden.