Das Dach ist noch verkohlt, Teile der Aussenfassade fehlen. Das Lagerhaus am Rande von London stand vergangenen März in Flammen. Darin befand sich offenbar Hilfsmaterial für die Ukraine. Die Täter – vorwiegend junge britische Staatsbürger – wurden gefasst und angeklagt. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautet unter anderem: Unterstützung des russischen Geheimdienstes.
«Der Brandanschlag ist Teil einer russischen Sabotagekampagne in Europa», sagt Keir Giles, Experte an der britischen Denkfabrik Chatham House in London. Er befasst sich mit russischer hybrider Kriegsführung.
Westliche Geheimdienste und Ermittler sehen den russischen Militärgeheimdienst GRU als Drahtzieher dieser und weiterer Sabotagevorfälle. «Was wir sehen, ist ein möglicher Vorläufer für einen bewaffneten Angriff Russlands, der über die Ukraine hinausgeht», sagt Giles.
Russische Geheimdienste immer aggressiver
Bei einer öffentlichen Anhörung am Montag warnte der Präsident des deutschen Bundesnachrichtendienstes Bruno Kahl vor einer weiteren Verschärfung der Lage. Die russischen Geheimdienste agierten «ohne jeglichen Skrupel». Der Chef des britischen Geheimdienstes MI5 Ken McCallum schlägt in die gleiche Kerbe. In seiner Rede zur Bedrohungslage sprach er letzte Woche von «gefährlichen Aktionen, die mit zunehmender Rücksichtslosigkeit durchgeführt werden».
Auch der Kreml-Kenner Mark Galeotti sieht ein immer aggressiveres Vorgehen Russlands. Galeotti hat mehr als 30 Bücher zu Russland geschrieben. «Der Kreml hat die Geheimdienste von der Leine gelassen», sagt er.
Eine Zermürbungstaktik
Mit den Angriffen will Putin in Europa Chaos stiften und Druck auf den Westen ausüben, in der Hoffnung, dass die Unterstützung der Ukraine nachlässt. «Moskau will den Menschen in Europa sagen: Solange ihr bereit seid, den Krieg in der Ukraine zu unterstützen, wird euer Leben schwieriger und unbequemer werden. Und es gibt nichts, was eure Regierungen dagegen tun können.»
Keir Giles sieht den Mehrwert von Sabotageaktionen auch in der Informationsbeschaffung. Russland könne aus den Reaktionen der einzelnen Länder lernen, wie sich diese schützen und wie sie gegen Täter ermitteln.
Lokale Kriminelle statt professioneller Agenten
Seit 2022 wurden zahlreiche russische Agenten aus Botschaften in ganz Europa ausgewiesen, erklärt Galeotti. Es gebe zudem stärkere Kontrollen bei der Einreise. Daher hat sich gemäss dem Russland-Kenner auch die Rekrutierung der Agenten verändert. Die Täter der russischen Angriffe kommen oft aus dem kriminellen Milieu. Es sind mehr oder weniger zufällig ausgewählte Leute, die Moskau in Chats online rekrutiert. Experten sprechen von «low-level agents» – Amateur-Agenten ohne eine nachrichtendienstliche Ausbildung.
«Der Kreml hat keine Möglichkeit, Spezialisten nach Europa zu schicken, also sucht er nach Leuten, die bereit sind, für wenig Geld Aufträge zu übernehmen», sagt Galeotti. Werden die Täter gefasst, ist der Schaden für Moskau gering – anders als im Falle eigener Agenten.
Laut Galeotti mache Europa zu wenig, um sich gegen solche Angriffe zu schützen: «Wir müssen unsere Sicherheit ernster nehmen.» Auch Giles bemängelt: «Was wir sehen, ist, dass es keine gemeinsame Anstrengung innerhalb Europas gibt, die Angriffe Russlands abzuwehren.»