Zum Glauben kam Nikita Schakirow nach einem traumatischen Erlebnis: «Mit acht Jahren wurde ich von einem Lastwagen angefahren», erzählt der 34-Jährige aus Moskau.
«Ich lag im Koma, die Ärzte hatten mich aufgegeben. Doch meine Mutter betete und sagte: ‹Herr, wenn es dich gibt, gib uns ein Wunder.› Am nächsten Morgen wachte ich auf.»
Heute reist Schakirow als Blogger um die Welt und erzählt von seiner Rettung. Russische Medien begleiten ihn dabei oft – auch in den besetzten Gebieten der Ukraine.
Auftritte in den besetzten Gebieten
In Donezk, Mariupol oder Berdjansk hielt er Vorträge über Glauben und die «russische Seele», wie er sagt. Für Schakirow sind die beiden unzertrennlich. Der Krieg stärke christliche, russische Werte, sagt er.
«Jungen Russen war der Glaube lange unwichtig. Aber in diesen schwierigen Zeiten denken viele wieder an Gott. Sie sehen, dass der Westen Russland zerstören will», sagt Schakirow.
Dem widerspricht der russische Geistliche Vater Jakow. Er lebt heute in der EU und heisst eigentlich anders. Von den Russinnen und Russen, die sich als christlich-orthodox identifizierten, gingen die allerwenigsten regelmässig in die Kirche, sagt er.
Der Kult des starken Staates
Stattdessen herrsche eine Art Volksreligion, geprägt vom Kult eines starken Staates, sowjetischen Grossmachtallüren und dem Glauben an russische Überlegenheit, so Vater Jakow. Die Kirche spiele darin bloss eine Nebenrolle.
Kyrill sagte jüngst, Russland sei Pfeiler und Grundfeste der Wahrheit.
«In einer Kirche in Moskau, die ich oft besuchte, wurden die Osterfeierlichkeiten einmal abgesagt», erzählt er. «Die Strasse war nämlich für Proben zur Truppenparade am Tag des Sieges gesperrt. Das zeigt die Prioritäten.»
Die Kirchenführung diene dieser grossrussischen Volksreligion und nicht dem wahren Christentum, so Jakow. Für den Kreml verbiege Patriarch Kyrill – Vorsteher der russisch-orthodoxen Kirche und ehemaliger KGB-Agent – sogar Bibelzitate: «Im ersten Brief von Paulus an Timotheus heisst es, die Kirche sei ‹der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit›. Kyrill aber sagte jüngst, Russland sei Pfeiler und Grundfeste der Wahrheit!»
Manche Geistliche sind gegen den Krieg
Die russisch-orthodoxe Kirche sei zwar schon immer konservativ und auch nationalistisch geprägt gewesen, sagt Vater Jakow. Doch viele Geistliche lehnten den Krieg gegen die Ukraine ab.
Selbst unter den Bischöfen gibt es Kriegsgegner.
«Es sind mehr, als man denkt», sagt Jakow. Doch viele würden auch schweigen. «In Moskau und Sankt Petersburg gibt es progressivere Geistliche, sie werden dort aber von der Kirchenführung strenger überwacht als ein Dorfpriester in Sibirien. Ich weiss, dass es selbst unter den Bischöfen Kriegsgegner gibt.»
In Moskau jedoch hat der orthodoxe Blogger Nikita Schakirow klare Worte für seine Glaubensgenossen, die sich gegen den Krieg und für die Nächstenliebe aussprechen: «Wer so denkt, ist ein Verräter. Christen sollen für Frieden sein, aber es geht hier um Gut gegen Böse. Da muss man sich wehren», sagt er. Seine Geschichte zeige, dass die Katastrophe aus dem Nichts kommen könne.
Das Wichtigste sei, Gott zu vertrauen.