Zum Inhalt springen

Seit drei Jahren Krieg Ukrainischer Autor Kurkow: «Es ist ein Leben in Trauer»

Der Krieg bestimmt das Leben des Schriftstellers. Er sagt: Zwischen Ukrainern und Russen gibt es jetzt eine hohe Mauer.

Vor genau drei Jahren, am 24. Februar 2022, wird Andrej Kurkow um 5 Uhr morgens von Explosionen geweckt. Eine gute halbe Stunde lang starrt er aus dem Fenster seiner Kiewer Wohnung auf die Strasse. Wie gelähmt.

Bis die nächsten Raketen einschlagen und er mit seiner Frau in den nächstgelegenen Schutzraum eilt. Seit diesem Moment habe sich sein Leben vollkommen verändert, erzählt Kurkow.

Jeder Tag bringt schlechte Nachrichten.
Autor: Andrej Kurkow Ukrainischer Schriftsteller

«Ich finde keinen Schlaf. Ich denke die ganze Zeit an den Krieg. Daran, wann er aufhört und wie er wohl aufhört. Es ist ein Leben in Trauer. Jeden Tag sterben die Kinder von Bekannten oder die Bekannten selbst. Jeder Tag bringt schlechte Nachrichten.»

Millionen Menschen auf der Flucht

Von seinem alten Leben seien ihm nur Erinnerungen geblieben, sagt Kurkow. Dabei hat er noch Glück gehabt: Seine Wohnung in Kiew steht noch, genauso wie das Häuschen im Norden der Hauptstadt, in das seine Frau und er übergesiedelt sind.

Millionen andere Ukrainerinnen und Ukrainer dagegen mussten fliehen, ins Ausland oder in andere Regionen des Landes, in denen ihr Leben weniger gefährdet ist.

Die ganze Ukraine ist in Bewegung. Und diese Bewegung ist von Angst und Schrecken geprägt.
Autor: Andrej Kurkow Ukrainischer Schriftsteller

Die Binnenflüchtlinge haben oft nicht genug Geld, um ein Zimmer oder eine Wohnung zu mieten. «Sie suchen Arbeit. Es gibt sogar Geflüchtete, die in die Gebiete zurückkehren, die von Russland besetzt sind – einfach weil sie in den von der Ukraine kontrollierten Gebieten finanziell nicht über die Runden kommen.»              

Andere Menschen lebten im Verborgenen. Sie versteckten sich oder ihre Söhne vor der Mobilisierung, damit sie nicht in den Krieg ziehen müssen, erzählt Kurkow. Auch das präge den ukrainischen Alltag.

Person vor einem mit ukrainischen Fahnen geschmückten Denkmal.
Legende: Im russischen Angriffskrieg sind in den letzten drei Jahren über 10'000 ukrainische Zivilistinnen und Zivilisten getötet worden (UNO-Angaben). Hinzu kommen Zehntausende ukrainische Soldatinnen und Soldaten, die umgekommen sind. Hunderttausende wurden verwundet – und sind womöglich für ihr Leben vom Krieg gezeichnet. Getty Images / Francisco Richart Barbeira

«Jeden Tag werden Männer eingezogen. Regelmässig sperren Soldaten die Strassen und kontrollieren Fahrer und Beifahrer. Manchmal bringen sie Männer aus ihren Autos direkt zur Armee. Man kann sagen, die ganze Ukraine ist in Bewegung. Und diese Bewegung ist von Angst und Schrecken geprägt.»       

Trotz all dieser Probleme ist Kurkow entschlossen, in der Ukraine zu bleiben. Das sei seine Pflicht, findet er.

Ablenkung vom Krieg

Kurkow nimmt auch wahr, wie sich durch den Krieg das Verhältnis zu seiner Muttersprache verändert hat. Dem Russischen.

«Russisch ist heute für die meisten Ukrainerinnen und Ukrainer die Sprache des Feindes. Selbst für diejenigen, die immer Russisch gesprochen haben. Wenn russischsprachige Ukrainer im Westen des Landes unterwegs sind, sprechen sie deshalb sehr leise miteinander, um die Leute, die Ukrainisch sprechen, nicht zu verletzen oder Aggressionen zu provozieren.»

Die psychologische und politische Mauer zwischen der Ukraine und Russland wird für immer bleiben.
Autor: Andrej Kurkow Ukrainischer Schriftsteller

Kurkow schreibt trotzdem bis heute auf Russisch. In den ukrainischen Buchhandlungen erscheinen seine Bücher seit Kriegsbeginn aber ausschliesslich in ukrainischer Übersetzung. Was die Zukunft seines Landes angeht, ist Kurkow pessimistisch.           

«Dieser Krieg wird noch lange weitergehen. Ich hoffe, dass zumindest die heisse Phase bald aufhören wird. Aber die psychologische und politische Mauer zwischen der Ukraine und Russland wird für immer bleiben.»

Einmal nicht an den Krieg zu denken, das gelinge ihm nur selten. «Wenn ich gerade im Garten arbeite, zumindest, wenn man keine Sirenen hört oder wenn ich Geschirr spüle. Das lenkt einen von allem ab.»

Zumindest so lange, bis die nächste traurige Nachricht eintrifft.                

SRF 4 News aktuell, 24.2.2025, 8:40 Uhr

Meistgelesene Artikel