Zum Inhalt springen

«Siegesplan» der Ukraine Selenski fordert ein Investment – und bietet Europa eine Rendite

Wolodimir Selenski hat seinen «Siegesplan» vorgestellt – einige reden auch von Friedensplan. Aus Sicht des ukrainischen Präsidenten könnte mit diesem Plan der Krieg in der Ukraine beendet werden. Einer der Kernpunkte: Die Ukraine erwartet eine sofortige Einladung in das Verteidigungsbündnis Nato sowie eine Stärkung der Verteidigung und Investitionen in die Rüstungsindustrie.

Einen baldigen Nato-Betritt der Ukraine hält der Sicherheitsexperte Markus Mölling zwar für wenig wahrscheinlich. Ein Investment in die Ukraine würde aber eine «strategische Rendite» für Europa abwerfen: Denn die Ukraine habe militärisch und wirtschaftlich einiges zu bieten.

Markus Mölling

Politologe und Militärexperte

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Markus Mölling ist Sicherheits- und Verteidigungsexperte bei der Bertelsmann-Stiftung in Berlin. Bis zum 31. August 2024 war er stellvertretender Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und Leiter Zentrums für Sicherheit und Verteidigung.

SRF News: Selenskis Siegesplan beinhaltet vor allem einen Beitritt zur Nato. Wie realistisch ist dieses Ansinnen derzeit?

Markus Mölling: Sehr realistisch ist eine Aufnahme der Ukraine in die Nato nicht. Auch wenn es immer wieder Spekulationen gab, dass Joe Biden die entsprechende Ankündigung im Gepäck hat, wenn er jetzt nach Europa kommt. Dem scheidenden US-Präsidenten ist es jedoch wichtig, dass er einen politischen Verdienst für seine Unterstützung der Ukraine zugeschrieben bekommt. Dafür braucht die Ukraine aber mehr als den derzeitigen Status quo.

Selenski stellt Siegesplan im ukrainischen Parlament vor.
Legende: Mit der Einbindung in die Nato soll die Ukraine laut Selenski künftig eine wichtige Rolle in der europäischen Sicherheitsarchitektur spielen. Im Gegenzug bietet Selenski Zugang zu ukrainischen Rohstoffen an. Keystone/AP/Pressestelle des ukrainischen Präsidenten

Wichtig ist an Selenskis Sieges- oder Friedensplan, dass die Ukraine damit erstmals nicht nur Forderungen stellt, sondern auch dazu bereit ist, etwas zu liefern. Zum einen Rohstoffe, die für Europa wichtig sind, um sich unabhängig von Russland und China zu machen. Zum anderen bietet die Ukraine an, mit ihren sehr kampferfahrenen Soldaten die immer weiter zurückgehende Unterstützung der Amerikaner zu kompensieren.

Das Problem ist nicht die Ukraine, sondern Russland – und das für lange Zeit.

Könnte der Westen dem ukrainischen Präsidenten trotzdem in irgendeiner Form entgegenkommen?

Man sollte das nicht als Entgegenkommen betrachten. Der Westen kann sich damit nämlich selber helfen. Auch wenn einem die Ukraine herzlich egal ist, geht es darum, sich selber zu schützen. Die Ukraine fordert vom Westen zwar ein Investment, sie bietet ihm aber auch eine strategische Rendite an. Denn das Problem ist nicht die Ukraine, sondern Russland – und das für lange Zeit. Das haben die Nato-Staaten schon zu Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine anerkannt.

Nato-Generalsekretär Mark Rutte hat in einer ersten Reaktion erklärt, dass er dem Plan «nicht vollständig zustimmen» könne. Ist das nicht bereits eine Absage des Westens?

Das glaube ich nicht. Rutte hat sein Amt erst vor einigen Tagen angetreten und muss noch zurückhaltend agieren. Bei seiner Funktionsbezeichnung sollte man auch das Wort «Sekretär» unterstreichen: Er ist kein «General», sondern eben der «Sekretär» von 32 Nato-Mitgliedstaaten.

Nato macht Ukraine keine Hoffnung auf schnelle Einladung

Box aufklappen Box zuklappen
Mark Rutte.
Legende: Nato-Generalsekretär Mark Rutte. Keystone/EPA/Tolga Akmen

Der neue Nato-Generalsekretär Mark Rutte hat zurückhaltend auf den ukrainischen Wunsch nach einer schnellen Einladung zum Beitritt in das westliche Militärbündnis reagiert. Rutte verwies bei einer Pressekonferenz in Brüssel auf die Beschlüsse des jüngsten Nato-Gipfels in Washington.

Bei ihm hatten sich Befürworter einer schnellen Einladung nicht gegen Gegner wie die USA und Deutschland durchsetzen können. Die Bündnisstaaten konnten sich lediglich darauf verständigen, der Ukraine allgemein zuzusichern, dass sie auf ihrem Weg in das Verteidigungsbündnis nicht mehr aufzuhalten sei. Zugleich wurde in der Gipfelerklärung noch einmal explizit betont, dass eine formelle Einladung zum Beitritt erst ausgesprochen werden kann, wenn alle Alliierten zustimmen und alle Aufnahmebedingungen erfüllt sind.

Rutte muss sich derzeit auch vorsichtig verhalten, weil er womöglich mit einer zweiten Amtszeit von Donald Trump als amerikanischer Präsident konfrontiert sein wird. Wenn er sich jetzt schon mit einem flammenden Statement für die Ukraine verbrennen würde, wäre das sehr problematisch.

Das Gespräch führte Susanne Stöckl.

Krieg in der Ukraine

Box aufklappen Box zuklappen

SRF 4 News, 17.10.2024, 6:45 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel