Wolodimir Selenski hat seinen «Siegesplan» vorgestellt – einige reden auch von Friedensplan. Aus Sicht des ukrainischen Präsidenten könnte mit diesem Plan der Krieg in der Ukraine beendet werden. Einer der Kernpunkte: Die Ukraine erwartet eine sofortige Einladung in das Verteidigungsbündnis Nato sowie eine Stärkung der Verteidigung und Investitionen in die Rüstungsindustrie.
Einen baldigen Nato-Betritt der Ukraine hält der Sicherheitsexperte Markus Mölling zwar für wenig wahrscheinlich. Ein Investment in die Ukraine würde aber eine «strategische Rendite» für Europa abwerfen: Denn die Ukraine habe militärisch und wirtschaftlich einiges zu bieten.
SRF News: Selenskis Siegesplan beinhaltet vor allem einen Beitritt zur Nato. Wie realistisch ist dieses Ansinnen derzeit?
Markus Mölling: Sehr realistisch ist eine Aufnahme der Ukraine in die Nato nicht. Auch wenn es immer wieder Spekulationen gab, dass Joe Biden die entsprechende Ankündigung im Gepäck hat, wenn er jetzt nach Europa kommt. Dem scheidenden US-Präsidenten ist es jedoch wichtig, dass er einen politischen Verdienst für seine Unterstützung der Ukraine zugeschrieben bekommt. Dafür braucht die Ukraine aber mehr als den derzeitigen Status quo.
Wichtig ist an Selenskis Sieges- oder Friedensplan, dass die Ukraine damit erstmals nicht nur Forderungen stellt, sondern auch dazu bereit ist, etwas zu liefern. Zum einen Rohstoffe, die für Europa wichtig sind, um sich unabhängig von Russland und China zu machen. Zum anderen bietet die Ukraine an, mit ihren sehr kampferfahrenen Soldaten die immer weiter zurückgehende Unterstützung der Amerikaner zu kompensieren.
Das Problem ist nicht die Ukraine, sondern Russland – und das für lange Zeit.
Könnte der Westen dem ukrainischen Präsidenten trotzdem in irgendeiner Form entgegenkommen?
Man sollte das nicht als Entgegenkommen betrachten. Der Westen kann sich damit nämlich selber helfen. Auch wenn einem die Ukraine herzlich egal ist, geht es darum, sich selber zu schützen. Die Ukraine fordert vom Westen zwar ein Investment, sie bietet ihm aber auch eine strategische Rendite an. Denn das Problem ist nicht die Ukraine, sondern Russland – und das für lange Zeit. Das haben die Nato-Staaten schon zu Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine anerkannt.
Nato-Generalsekretär Mark Rutte hat in einer ersten Reaktion erklärt, dass er dem Plan «nicht vollständig zustimmen» könne. Ist das nicht bereits eine Absage des Westens?
Das glaube ich nicht. Rutte hat sein Amt erst vor einigen Tagen angetreten und muss noch zurückhaltend agieren. Bei seiner Funktionsbezeichnung sollte man auch das Wort «Sekretär» unterstreichen: Er ist kein «General», sondern eben der «Sekretär» von 32 Nato-Mitgliedstaaten.
Rutte muss sich derzeit auch vorsichtig verhalten, weil er womöglich mit einer zweiten Amtszeit von Donald Trump als amerikanischer Präsident konfrontiert sein wird. Wenn er sich jetzt schon mit einem flammenden Statement für die Ukraine verbrennen würde, wäre das sehr problematisch.
Das Gespräch führte Susanne Stöckl.