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Ukraine-Gespräche Besatzung ist kein Frieden – sondern eine andere Art von Krieg

Die Ukraine hat gute Gründe, warum sie die besetzten Gebiete nicht Russland überlassen will. Man hat aus der Vergangenheit gelernt.

Das Ausmass der Gewalt, die den Menschen in den besetzten Gebieten angetan werde, sei drastisch. Dies sagte die renommierte ukrainische Journalistin Natalija Gumenjuk kürzlich in einem Podcast des US-amerikanischen Politikmagazins Foreign Affairs. Jeder, der die russische Besatzung nicht offen unterstütze, laufe Gefahr, verhaftet und gefoltert zu werden.

Zusammengefasst sieht die Lage folgendermassen aus: Viele Ukrainer und Ukrainerinnen sind geflohen, andere verschwanden in Folterkellern oder in «Filtrationslagern». Die geschätzt rund sechs Millionen Menschen, die geblieben sind, stehen unter Druck, die russische Staatsbürgerschaft anzunehmen.

Man droht ihnen mit dem Verlust der Arbeitsstelle, der Pension, der Gesundheitsversorgung oder der Wohnung. Letzte Woche unterschrieb Kreml-Herrscher Wladimir Putin ein Dekret, das der ukrainischen Bevölkerung befiehlt, ihren «legalen Status» bis September zu regeln oder andernfalls die Gebiete zu verlassen. Das heisst: entweder den russischen Pass akzeptieren oder ausgewiesen werden.

Russifizierung schreitet voran

Gleichzeitig lassen sich Tausende Russen und Russinnen in den besetzten Gebieten nieder, es sind vor allem Militärs, Geheimdienstler, Lehrerinnen, Beamtinnen. Manche von ihnen leben in Wohnungen, die geflohenen Ukrainern gehören – sie wurden enteignet, weil sie nicht zurückkehrten.

Die Besetzungen der Krim und der Ostukraine im Jahr 2014 haben Russland als Vorbereitung für die Grossinvasion gedient.
Autor: Natalija Gumenjuk Ukrainische Journalistin

Die verbliebenen Menschen werden russifiziert. Besonders intensiv ist die Indoktrinierung der Kinder und Jugendlichen, man erzieht sie zur Liebe zu Russland und zum Hass auf alles Ukrainische. Die Besatzer haben begonnen, sie einem militärisch-patriotischen Drill zu unterziehen, mit dem Ziel, sie dereinst in den Kampf gegen das eigene Land zu schicken.

Gumenjuk sagt: Bei all dem gehe es um mehr als um politische Repression, es sei eine umfassende Strategie. Die Besetzungen der Krim und der Ostukraine im Jahr 2014 hätten Russland als Vorbereitungen für die Grossinvasion gedient. Die Gebiete wurden militarisiert, Truppen wurden stationiert, Logistik aufgebaut, jeglicher Widerspruch wurde systematisch ausgeschaltet.

Die Lehren von damals

Das ist den Ukrainern und Ukrainerinnen eine Lehre für die laufenden Verhandlungen, bei denen es nun auch um die seit 2022 besetzten Gebiete im Süden der Ukraine geht, die sich Russland ganz einverleiben will.

Denn, so Gumenjuk: «Je näher die Russen dem Rest der Ukraine sind, je mehr Gebiete sie kontrollieren, desto grösser wird die Gefahr, dass in ein paar Jahren die südlichen Gebiete Cherson und Saporischja als Ausgangsbasis für Angriffe auf die Städte Charkiw, Dnipro und Odessa genutzt werden.»

Vergabe russischer Pässe in Cherson im Sommer 2022.
Legende: Auch die aufgezwungene Verteilung von russischen Pässen sei Teil der Strategie, die Gebiete zu kontrollieren, um sie dann für einen noch grösseren Krieg zu nützen, sagt Gumenjuk. Bild: Vergabe russischer Pässe in Cherson (Juli 2022). Getty Images/Anadolu/Stringer

Gumenjuk betont: Ein Waffenstillstand setze all dem kein Ende, denn Besatzung sei kein Frieden, sondern lediglich eine andere Art von Krieg. Deshalb sei nur schon das Einfrieren des jetzigen Zustandes ein Problem, noch schlimmer wäre, die Gebiete als russisch anzuerkennen – was die ukrainische Führung deshalb ausschliesst.

Die Zeit ist nicht auf der Seite der Ukraine, die russischen Besatzer festigen ihre Position mit jedem Tag. Doch die Gebiete in nächster Zeit zurückzuerobern, ist unrealistisch, dafür fehlen der ukrainischen Armee die Mittel. Deshalb steht die Regierung in Kiew vor schwierigen Entscheidungen bei den laufenden Gesprächen über die Zukunft des Landes.

Krieg in der Ukraine

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Echo der Zeit, 27.3.2025, 18 Uhr;stal

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