Im Nordwesten der Ukraine werden ganze Landstriche in Mondlandschaften verwandelt. Gefördert wird hier Bernstein – zum grossen Teil illegal. Die Mafia kontrolliert das Geschäft, der Staat schaut weg, weil üppige Schmiergelder fliessen. Bemühungen, die Branche zu legalisieren, sind bisher im Sand verlaufen – wohl auch deshalb, weil zu viele an den korrupten Machenschaften verdienen.
Dmitro Leontijuk stapft durch kniehohes Gras. Ein leichter Wind geht, die Blätter junger Birken rascheln. Einen Moment lang wirkt alles sehr idyllisch. Doch plötzlich klafft eine gewaltige Grube auf. Eine Mondlandschaft bis an fast den Horizont. Sandiger Boden, hässliche Krater. Als hätten riesige Würmer den Boden umgegraben.
«So sieht es aus, wenn die Bernstein-Jäger da waren. Sie roden den Wald, dann pressen sie mit hohem Druck Wasser in den Boden, der Sand wird hochgespült, zusammen mit den Bernsteinen», sagt Dmitro Leontijuk. Er kennt die ukrainischen Bernstein-Gebiete wie kaum ein anderer.
Der 31-Jährige ist Journalist bei einem lokalen Fernsehsender in der Provinzstadt Rivne. Immer wieder berichtet er darüber, was in den Wäldern entlang der ukrainisch-weissrussischen Grenze vor sich geht.
«Es gibt diejeinigen, die hier nach Bernstein graben. Die arbeiten vor allem nachts. Dann gibt es die Händler, welche die Ware ausser Landes schmuggeln – etwa nach Polen. Und natürlich sind dann noch diejenigen, die Schmiergelder kassieren, bei der Polizei, aber auch Politiker», erklärt Dmitro Leontijuk.
Schiessereien sind nicht ungewöhnlich
Das Geschäft mit den gelb funkelnden Steinen ist illegal und hochkriminell. Mafiöse Clans kontrollieren die Förderung und den Handel. Ungefährlich ist die Arbeit von Dmitro Leontjuk nicht.
Der Lokaljournalist hat sein Handy hervorgezogen und zeigt ein Video, das er vor nicht allzulanger Zeit aufgenommen hat. Bei einer Polizei-Razzia tief in den Wäldern eröffneten Bernstein-Gräber plötzlich das Feuer auf die Beamten. Es entbrannte eine Schiesserei. Das sei nichts ungewöhnliches, kommentiert Leontjuk.
Bernstein ist fossiler Harz. Grössere Vorkommen gibt es im baltischen Teil der Ostsee und eben in der nordwestlichen Ukraine. Die gelben Steine sind ein Milliardengeschäft.
Schätzungen zufolge werden in der Ukraine jährlich bis zu 300 Tonnen Bernstein gefördert. Davon bloss zwei Tonnen legal durch lizenzierte Unternehmen – der Rest illegal. Lokaljournalist und Bernstein-Experte Leontjuk schätzt, dass rund um den gelben Stein bis zu 4 Millionen Dollar Schmiergeld fliessen – jeden Tag.
Weiterfahrt mit dem Auto. Es geht durch das Dorf Klessiw, die inoffizielle Bernstein-Hauptstadt der Ukraine. Leontjuk zeigt auf einen protzigen Toyota-Geländewagen. 60'000 Euro koste der. Ziemlich viel für einen ukrainischen Dorfbewohner – es sei denn, er verdient im einträglichen Bernsteingeschäft.
Mit Fremden redet man nicht
Auch zahlreiche Villen hinter hohen Mauern zeugen davon, dass in Klessiv viel Geld da ist. Der Dorfplatz ist auffallend schmuck. Eine brandneue Kirche steht am Randes des Platzes. Eine Passantin zeigt beim Vorbeigehen auf das himmelblaue Gebäude. «Sehen Sie die Kuppeln aus Gold? Die wurden natürlich mit Bernstein bezahlt. Wie auch sonst? Das hat ja Millionen gekostet.»
Das Bernstein-Geld ist Schwarzgeld. Die Bewohner von Klessiv können es nicht legal anlegen. Also kaufen sie Autos, bauen Häuser oder eben eine Kirche. Entsprechend verschwiegen ist die Dorf-Gemeinschaft. Man redet nicht gerne mit Fremden.
Ein älterer Mann bleibt doch kurz auf dem Dorfplatz stehen und berichtet davon, wie das Geschäft gerade läuft. «Unsere Leute getrauen sich im Moment nur in der Nacht auf die Bernstein-Felder. Die Taxe ist auf 250 Dollar gestiegen – pro Tag. Bezahlen muss man den Clanchef, so ist das halt, sonst darf man überhaupt nicht graben.»
Auch auf sein Grundstück kommen nachts die Bernstein-Jäger. «Für ihre Wasserpumpen zapfen sie meinen Teich an. Das Wasser ist schon fast weg, die Fische verenden. Wenn ich die Polizei anrufe, lachen die nur. Die getrauen sich nicht hierher.»
Das ukrainische Bernstein-Gebiet ist Mafia-Land. Der Staat hat sich weitgehend zurückgezogen. Von gelegentlichen Razzien mal abgesehen, treten Staatsdiener hier eigentlich nur auf, um Schmiergeld zu kassieren. Es herrscht Anarchie, und der gelbe Stein hält diese Anarchie aufrecht.
Eine Granate ins Haus geworfen
Ein Mann, der das ändern will heisst Alexander Vasiliev. Der Lokalpolitiker bittet auf einer Autobahnraststätte zum Interview. Er ist ständig unterwegs in diesen Tagen, denn er kandidiert für das Parlament in Kiew. Am Sonntag sind Wahlen.
«Wir haben bereits einen Gesetzesentwurf erarbeitet, der das ganze Bernstein-Geschäft legalisieren soll. Die Idee war, dass der Staat Lizenzen vergibt für Bernstein-Gräber.» Mit seinem Engagement macht sich Vasiliev nicht nur Freunde. Einmal hat ihm jemand eine Granate ins Haus geworfen. Zum Glück wurde niemand verletzt.
Der Politiker ist ehemaliger Boxer. Ihn schüchtert man nicht so schnell ein. Doch sein Gesetzesprojekt für die Legalisierung von Bernstein ist dennoch nicht weiter gekommen. Es liegt bis heute in einer Kiewer Schublade.
Vasiliev hat eine Vermutung, woran das liegt. «Viele Beamte haben eben kein Interesse an einer Legalisierung. Denn es gibt eine richtige Korruptionskette, die von ganz oben in Kiew runter geht bis in die tiefsten Ränge hier vor Ort. All diese Leute profitieren davon, dass illegal Bernstein abgebaut wird.»
Bernstein könnte allen dienen
Die Ukraine ist eines der ärmsten Länder Europas. Renter bekommen zum Teil weniger als 100 Franken Rente pro Monate. Dabei liegt unter den Wäldern hier im Nordwesten des Landes ein gelber, funkelnder Schatz begraben. Man müsste ihn nur einfach so fördern, dass nicht nur wenige, sondern alle Ukrainerinnen und Ukrainer etwas davon haben.