Rot-weisses Plastikband baumelt im Zentrum von Budapest von Strassenlaternen, schlängelt sich um Balkongeländer, flattert von Velolenkern und Hundeleinen. Dasselbe rot-weisse Plastikband, das seit Wochen den Eingang der Theater- und Film-Universität versperrt.
Die Studierenden haben ihre Uni besetzt. Sie protestieren – mit Plastikband auf den Strassen und mit Videos auf sozialen Medien. Ein pensionierter Zimmermann, eine Lehrerin, ein Unternehmer, zahllose Menschen fordern in kurzen Protestvideos das gleiche: «Freies Land, freie Universität!»
Die Studierenden und ihre streikenden Dozentinnen wollen verhindern, dass Regierungschef Orban die Chefposten mit Vertrauten besetzt und die Film- und Theaterhochschule so auf seine konservative Linie trimmt.
Attila Vidnyanszky heisst der neue Rektor von Orbans Gnaden. Er sagt, die Hochschule müsse christlich-konservativen Sichtweisen mehr Raum geben. Nur so werde sie der Vielfalt der ungarischen Gesellschaft gerecht.
Um jedes Theater und jeden Intendanten wird gekämpft, um die Hochschulen und Akademie der Wissenschaften, die Lehrpläne.
Für den Widerstand gegen seine Pläne macht Vidnyanszky Kräfte aus dem Ausland verantwortlich. Diese Kräfte verhinderten jeden Dialog, jede Öffnung, sagt er in einem Fernsehinterview.
Und wie so oft, wenn es in Orbans Ungarn Widerstand gibt, werden die Protestierenden in die Nähe von Staatsfeinden gerückt: «Es geht ihnen nicht um die Universität. Hier protestieren Kräfte, die schon lange vom Sturz der Regierung träumen», sagt Vidnyanszky.
Wilhelm Droste ist Schriftsteller. Er lebt seit 30 Jahren in Budapest und ist mit einer der bekanntesten ungarischen Filmregisseurinnen verheiratet. Droste hat an der grössten ungarischen Uni unterrichtet, kennt Ungarns Kultur- und Hochschullandschaft von Innen.
Er sagt, die Theater- und Film-Hochschule sei nur die jüngste Bühne für einen viel grösseren Kampf um kulturelle Freiheit und akademische Unabhängigkeit. «Um jedes Theater und jeden Intendanten wird gekämpft, um die Hochschulen und Akademie der Wissenschaften, die Lehrpläne. Eigentlich bleibt kein Bereich verschont.»
Politische Macht genügt Orban nicht. Er will – das hat er vor zwei Jahren angekündigt – «eine neue kulturelle Ära einläuten», in der christlich-nationalistische Werte dominieren, in der Theater konservative Autoren spielen, Museen ungarische Helden feiern und Hochschulen nichts lehren, was der Regierung missfällt.
Wie viele Intellektuelle in Ungarn hält Droste wenig von diesem Vorhaben: «Diese neue kulturelle Ära ist in Wirklichkeit eine alte: Ungarn als nationaler geschützter Kindergarten, der friedsam, stolz und patriotisch vor sich hinwirkt. Diese Vorstellung entkoppelt Ungarn auch von Europa.»
Ich sehe keine politische Gruppe, die ein modernes Ungarn anbietet. Man schimpft, auf das was ist – das ist aber nicht genug.
Und das könne für das kleine Ungarn nicht gut sein – nicht politisch, nicht wirtschaftlich und auch nicht kulturell. Allerdings: Unzufrieden ist der Schriftsteller auch mit den Regierungsgegnern. «Ich sehe keine politische Gruppe, die ein modernes Ungarn anbietet. Man schimpft, auf das was ist – das ist aber nicht genug.»
Droste glaubt dennoch, dass Orban mit seinem Streben nach einer neuen christlich-nationalistischen Leitkultur letztlich scheitern wird. Kultur lasse sich nicht kontrollieren. Und manchmal macht gerade die Auflehnung gegen Politik kreativ. Das zeigen die tausenden Fotos und Videos, in denen Protestierende zeigen, auf wie viele Arten man mit rotweissen Plastikbändern für die Unabhängigkeit einer Universität protestieren kann.