Die Europäische Union ist längst nicht mehr nur ein Staatenbund, der sich vor allem auf den gemeinsamen Wirtschaftsmarkt fokussiert. Die EU hat sich auch zu einer Werteunion entwickelt. Das möchte sie zumindest sein, wenn man sich öffentliche Reden von Kommissionspräsidentin von der Leyen oder von der deutschen Kanzlerin Merkel anhört.
Die EU soll eine Werteunion sein, die auf Prinzipien eines liberalen Rechtsstaats wie der Unabhängigkeit der Justiz, auf einem fairen Kräfteverhältnis zwischen Regierung und Opposition und auf der freien Meinungsbildung durch unabhängige Medien aufbaut. Korruption, Unterdrückung von Minderheiten und illegales Vorgehen gegen Asylsuchende haben da keinen Platz und verstossen gegen Grundwerte der EU.
Der Bericht wird wenig bewirken
Diese liberalen Grundwerte werden nicht mehr nur von autoritären Staaten weltweit infrage gestellt, sondern auch von EU-Mitgliedsstaaten selbst. Dass die EU-Kommission darum am Mittwoch zum ersten Mal einen Bericht zur Situation der Rechtsstaatlichkeit in den 27 Mitgliedsstaaten präsentiert, ist richtig und auch wichtig für die Glaubwürdigkeit der Kommission und deren Forderungen.
Auf der Grundlage dieses Berichts kann die Kommission zwar keine direkten Sanktionen gegen jene Staaten aussprechen, denen Verstösse gegen die Rechtsstaatlichkeit vorgeworfen werden, aber sie hat ein Instrument in der Hand, mit dem sie gezielt den öffentlichen Dialog prägen kann. Wichtig dabei wird sein, dass dieser Dialog nicht nur innerhalb von EU-Institutionen stattfindet, sondern auch innerhalb der Mitgliedsstaaten, unter Einbezug der Bevölkerung.
Der Bericht allein wird aber kaum zu Veränderungen führen. Um EU-Staaten wie Ungarn, Polen, Bulgarien, die Slowakei oder Kroatien dazu zu bringen, sich an die Rechtsstaatlichkeit zu halten, braucht es andere Mechanismen, die auf finanzieller Ebene angewendet werden.
Mechanismus ohne Wirkung
Ein solcher Mechanismus wurde beim EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs im Juli beschlossen. Die Auszahlung von EU-Geldern soll an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit geknüpft werden. Allerdings ist dieser Mechanismus, wie er heute vorliegt, wirkungslos. Es bräuchte im Rat der EU eine qualifizierte Mehrheit, um die Auszahlung von EU-Gelder zu stoppen.
Ein grosser Teil des Europäischen Parlaments wehrt sich darum gegen diesen Vorschlag und verlangt einen härteren Mechanismus. Es wäre einer, der tatsächlich zu einem Umdenken in den betroffenen Staaten führen könnte. Diese sind auf die Gelder aus Brüssel angewiesen. In der politischen Debatte wird sich dieser härtere Mechanismus aber kaum durchsetzen. Insbesondere osteuropäische Staaten würden die Annahme im Rat mit einer Vetoposition blockieren.
Die EU bleibt also vorerst darauf angewiesen, dass sich die betroffenen Staaten kooperativ zeigen und Urteile des Europäischen Gerichtshofs umsetzen.