Die Corona-Pandemie mit hunderttausenden Toten weltweit überschattet derzeit viele brennende Themen – nicht zuletzt den Kampf gegen den Klimawandel, der noch im letzten Jahr die Schlagzeilen dominiert hat.
Auf dem Sorgenbarometer ist auch die Luftverschmutzung seit Jahrzehnten prominent vertreten. Als deren Folge starben 1990 europaweit noch eine Million Menschen vorzeitig; heute sind es allerdings «nur» noch 400'000.
Auf diese Zahl kommt die Europäische Umweltagentur in einem neuen Bericht. Für sie ist klar: Luftverschmutzung ist die grösste Umweltbedrohung für die Gesundheit auf dem Kontinent.
Martin Röösli vom Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut in Basel überraschen die Zahlen nicht. Denn auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) komme zu ähnlichen Ergebnissen; eine weitere aktuelle Studie gehe von fast 800'000 vorzeitigen Todesfällen aus.
Wie werden Todesfälle berechnet?
Allerdings: Eine wirkliche «Diagnose», dass ein Mensch an den Folgen von Luftverschmutzung gestorben ist, gibt es nicht. «Man weiss aber aus epidemiologischen Studien, wie viel mehr Todesfälle dort auftreten, wo die Luftbelastung erhöht ist», erklärt Epidemiologe Röösli. Je nachdem, wie stark eine Bevölkerung Luftschadstoffen ausgeliefert sei, könne man Rückschlüsse auf die Todesrate ziehen.
Doch was ist eigentlich Luftverschmutzung, zählt beispielsweise Rauchen dazu? Im Bericht der Europäischen Umweltagentur wurde das nicht erfasst. «Aber es gibt Schätzungen, in denen der Einfluss des Passivrauchens mitberücksichtigt wird», so Röösli. Heisst: In Gebieten, in denen die Menschen öfter zum Glimmstängel greifen, wird der schädliche Einfluss des Rauchens aus den Statistiken herausgerechnet.
Teufelkreis für ärmere Länder
Laut der Studie gehört die Schweiz – nach Norwegen und Island – zu den Ländern mit den tiefsten Todesraten im Zusammenhang mit Luftverschmutzung. «Das liegt daran, dass die Schweiz bei der Eindämmung von Luftschadstoffen sehr viel gemacht und erreicht hat», so der Forscher. Zudem seien die Grenzwerte für Schadstoffbelastung hierzulande relativ tief angesetzt, und auch die Kontrollmechanismen würden gut funktionieren.
Am schlimmsten ist die Luftverschmutzung laut der Europäischen Umweltagentur in Bosnien-Herzegowina. Ein gravierendes Problem dort: Immer noch heizen sehr viele Menschen mit Holz oder Kohle. «Dadurch entstehen sehr viele Schadstoffe. Und auch die Autos und Industrieanlagen sind zu einem grossen Teil nicht auf dem neusten Stand», sagt Röösli.
Abschliessend macht der Epidemiologe auf einen gesundheitspolitischen Graben aufmerksam, der mitten durch Europa geht: Wohlhabendere Länder könnten es sich leisten, mehr für die Umwelt zu machen. Ärmere Länder hingegen befänden sich in einem Teufelskreis: «Je weniger für die Umwelt gemacht wird, umso grösser sind die gesundheitlichen Folgekosten für die Gesellschaft.»
Trotz des umweltpolitischen Engagements der EU blieben deswegen gewisse Ungerechtigkeiten bestehen, schliesst Röösli.