Sie bevölkerten vor der Ankunft der Europäer die Küsten des südlichen Afrikas, es soll mehr als eine Million von ihnen gegeben haben. Heute sind die afrikanischen Brillenpinguine, mit 70 Zentimetern zu den kleinsten aller Pinguine gehören, nur noch in kleinen Gruppen unterwegs. In den sechs Kolonien leben knapp 9000 Paare.
Wir Menschen sind entzückt über ihren tollpatschigen Gang, wenn sie wie vollendete Komiker den Sandhang hinuntertrotten oder über Steine ins Wasser stolpern. Doch wir sind es auch, die für ihren Untergang verantwortlich sind und im schlimmsten Fall für ihr Verschwinden nach 2035. Bis dann könnten die afrikanischen Pinguine aussterben, wie Birdlife South Africa und andere Organisationen aufgrund ihres Rückgangs in den letzten Jahren berechnet haben.
Eine Geschichte der Vernichtung
Warum genau sind ihre Zahlen so drastisch geschrumpft? Sie haben ja keine Hörner wie das Nashorn, die deswegen getötet werden. Doch Ende des 19. Jahrhunderts galten ihre Eier als Delikatesse. Die Europäer haben knapp die Hälfte aller Eier aus den Nestern gestohlen und verzehrt.
Im Wasser zeigt sich ihre Begabung als Schwimmer. Wenn es sein muss, können sie auf 24 Kilometer pro Stunde beschleunigen.
Es folgte der Klau ihres Kots. Der Pinguinkot, der sich mehrere Meter hoch stapelte, wurde im grossen Stil abgebaut, da er vor der Einführung des Kunstdüngers als bester Dünger galt. Er wurde als das «weisse Gold» bezeichnet und in Europa für viel Geld verkauft.
Ihr über die Jahre getrockneter Kot war für die Pinguine allerdings überlebenswichtig: In ihm gruben sie ihre Nester, um die Eier zu legen und die Jungen aufzuziehen. Pinguinkot oder Guano hat eine temperaturausgleichende Wirkung, was in heissen Sommern verhindert, dass die Eier oder die Jungen überhitzt werden.
Dann kamen die Öltanker und die Lecks. Vor 20 Jahren starben 19’000 afrikanische Pinguine vor Kapstadt, als ein Öltanker kenterte. Überfischung und Klimawandel führten zur weiteren Reduktion der afrikanischen Pinguinpopulation.
Heute gibt es nur noch sechs Pinguinkolonien im Kap. Sie sind alle geschützt und Teil der nationalen Parks. Dennoch nimmt die Zahl der Seevögel weiterhin dramatisch ab. Warum?
Zu kleine geschützte Fischgründe
In ihrem Element sind die Pinguine im Wasser und nicht an Land – darum eben ihre Tollpatschigkeit auf dem Trockenen. «Im Wasser zeigt sich ihre Begabung als Schwimmer. Wenn es sein muss, können sie auf 24 Kilometer pro Stunde beschleunigen», sagt Alistair McInnen von Birdlife South Africa. Der Pinguinspezialist schrieb eine Doktorarbeit über ihr Fischverhalten.
Der geschützte Perimeter für Pinguine ist viel zu klein, man hat sich dem Druck der kommerziellen Sardinenschiffe gebeugt.
Auf seiner jahrelangen Arbeit basiert auch die Klage, die Birdlife zusammen mit einer anderen Organisation gegen das Umweltministerium eingereicht hat. «Das Ministerium hat erst vor einem Jahr die Fischgründe der Kolonien geschützt, doch nicht entsprechend der Empfehlungen von uns und einer internationalen Expertengruppe. Der geschützte Perimeter ist viel zu klein, man hat sich dem Druck der kommerziellen Sardinenschiffe gebeugt.»
Das sei das Kernproblem, so McInnen. Brillenpinguine bevorzugten ebenfalls Sardinien, doch wenn sie nicht in Ruhe genug davon fangen, könnten sie nicht genug Fettreserven für sich selbst und schon gar nicht für ihre Jungen anlegen. Das sei einer der Hauptgründe, warum es immer weniger Pinguine gebe.
Wasserdichte Minikameras dokumentieren Fangverhalten
Alistair McInnen zeigt auf seinem Laptop, wie sehr sich die aktuell geschützten Fischgründe von den eigentlich benötigten unterscheiden. Das aktuelle Schutzgebiet deckt lediglich ein Drittel des realen Jagdareals ab. Das belegen zahlreiche Linien, die weit über das Schutzgebiet hinausreichen. Sie symbolisieren einzelne Fangausflüge der Pinguine.
Die Grafik ist das Resultat jahrelanger Beobachtung. Seit 2008 werden einzelne Pinguine regelmässig während 24 Stunden mit wasserdichten Minikameras und GPS-Sendern ausgestattet. Die Aufnahmen zeigen, wie weit die Seevögel schwimmen müssen, um genügend Fische zu fangen, wie häufig sie in Gruppen fischen gehen und wie wichtig ein einziger Sardinenschwarm sein kann.
«Ein Pinguin kann sich innert weniger Sekunden 20 Fische schnappen. Damit ist sein Bedarf für den Tag gesichert», so der Experte. Doch diese Schwärme sind meist nicht innerhalb des geschützten Gebiets, sondern weit ausserhalb. Zum Teil müssen die Pinguine bis zu 30 Kilometer weit schwimmen.
Viele verwaiste Pinguinbehausungen
Die Unterwasseraufnahmen stammen aus der Bucht vor Bettys Bay, einem abgeschiedenen Ort im Kap, wo sich eine der sechs Kolonien befindet. Ein wilder Ozean, weisse Felsen, ein Strand mit vereinzelten Besuchern und einem kleinen Pinguintrupp.
So atemberaubend die Natur ist, so traurig stimmt der Anblick der weissen, tunnelförmigen Behausungen, die extra für die Pinguine gebaut worden sind und nun meist leer stehen. Nur in einem der Minitunnel liegen zwei Junge, die bereits den Flaum verloren haben, aber noch nicht bereit sind, für sich selbst zu sorgen.
Die Kolonie in Bettys Bay gilt als besonders gefährdet. In den letzten zehn Jahren hat sich die Population halbiert, heute leben hier nur noch rund 1000 Paare.
Das Umweltministerium steht vor Gericht
Wer hier steht und Richtung Antarktis und das scheinbar unendliche Meer blickt, versteht nicht, warum es so schwierig ist, zumindest die Fischgründe der Pinguine umfassend zu schützen. Vor allem, wenn deren Überleben davon abhängt. Das begreift auch die Umweltanwältin Kate Handley nicht.
Sie vertritt die beiden Tierschutzorganisationen in ihrer Klage gegen das Umweltministerium und sagt, es sei per Verfassung die Aufgabe des Umweltministeriums, eine Tierart vor dem Aussterben zu bewahren. Genau deshalb werde es vor Gericht gezogen.
Die Anwältin betont: «Die Umweltministerin hat während Jahren keine klaren Entscheidungen getroffen. Darum blieb uns nichts anders übrig, als den Rechtsweg zu nehmen. Es gab etliche Verhandlungenrunden zwischen den kommerziellen Fischern und den Organisationen, was den Umfang der Schutzzonen anbelangt – doch die Ministerin hat sich um ihre Pflicht gedrückt, etwas zu unternehmen.»
Die kommerziellen Fischer und die Naturschutzorganisationen haben sich auf keinen Kompromiss einigen können. Den Fischern sind die vorgeschlagenen erweiterten Schutzzonen zu gross und die angebotene Kompensation zu klein. Noch ist es zu keiner Einigung gekommen – und sollte die Klage erfolgreich sein, hätten die Fischer das Nachsehen.
Am Kap leben Hunderte Menschen vom Fischfang
Vom kommerziellen Fischen von Sardinen, dem Lieblingsfisch der Pinguine, hängen im Kap einige hundert Fischer ab. Nur einer von ihnen, Kobus Poggenpoel ist bereit über die hängende Klage zu sprechen. Er ist ein kommerzieller Sardinenfischer in der vierten Generation, wie er in Kalkbay, einem pittoresken Hafen am Kap der Guten Hoffnung erzählt.
Immer sind es wir, die kleinen Fischer, die für den Niedergang der Pinguine angeklagt werden.
Sein Schiff wird gerade für die nächste Saison angestrichen, er ist stolz auf seine «Melissa Kelly», die seit mehr als 20 Jahren tonnenweise Sardinen heimgebracht hat. «Das heisst aber nicht, dass wir den Pinguinen den Fisch wegnehmen, das stimmt überhaupt nicht. Wir tun ihnen nichts an. Doch immer sind es wir, die kleinen Fischer, die für den Niedergang der Pinguine angeklagt werden», empört sich Kobus Poggenpoel.
In der grossen Bucht, an der das Hafenstädtchen Kalkbay liegt, darf seit 20 Jahren kein kommerzieller Fischfang mehr betrieben werden. Fischer wie Poggenpoel müssen ausserhalb der Bucht, weiter westlich fischen. Dort, wo beispielsweise die Pinguinkolonie von Bettys Bay liegt. Dazu will sich der alte Fischer allerdings nicht äussern.
Die Pinguine, ein Touristenmagnet
An der gleichen Küste wie Kalkbay liegt Simonstown, wo die stabilste Pinguinkolonie lebt. Aufgrund des Fischereiverbots herrscht hier in der Regel kein Hunger.
Nur eine Stunde Autofahrt von Kapstadt entfernt, haben sich die Pinguine allerdings zu einem Touristenmagneten entwickelt. Egal, ob es regnet oder die Sonne scheint, täglich strömen Hunderte von Menschen hierher, um die Wasservögel zu bewundern. Der Tourismus generiert jährlich rund 13 Millionen Franken Einnahmen, davon profitieren Hotels, Touroperatoren und Restaurants – die Wertschöpfungskette ist lang.
Ob die Tierschützer mit ihrer Klage erfolgreich sind, wird sich zeigen, noch wurde kein Entscheid gefällt. Ob der afrikanische Pinguin so allerdings langfristig vor dem Aussterben gerettet werden kann, ist eine andere Frage. Denn die Bestände von Sardinen und Sardellen sind ebenfalls geschrumpft und weisen keine Anzeichen von Erholung auf.