Indien löst China nach Schätzungen der UNO dieses Jahr als bevölkerungsreichstes Land der Welt ab. Vielleicht schon in den nächsten Tagen. Vielleicht passierte es schon – oder es wird noch passieren. Ganz genau weiss das niemand, denn die letzte Volkszählung Indiens liegt schon zwölf Jahre zurück.
Nach UNO-Hochrechnungen leben rund 1.4 Milliarden Menschen in Indien. Und klar ist, dass die Bevölkerung Indiens weiter wachsen wird, während die von China langsam zu schrumpfen beginnt.
Kampf gegen Bevölkerungswachstum
Doch gegen das Bevölkerungswachstum kämpft die Regierung in Neu-Delhi schon seit Jahrzehnten, weil sie lange geradezu Angst vor einer Bevölkerungsexplosion hatte – und davor, zu wenig Essen und Ressourcen zu haben.
So propagiert die Regierung kleine Familien und bietet Verhütung sowie Abtreibungen gratis an. Entsprechende Informationsveranstaltungen gibt es gar beim Warten auf Schwangerschaftsuntersuchungen bei der Gynäkologin. Für langfristige Verhütungsmethoden wie Kupferspiralen und Sterilisierungen zahlt der Staat zudem finanzielle Anreize.
Trend zu kleineren Familien
Die Massahmen scheinen zu greifen – das Bevölkerungswachstum verlangsamt sich. Hatte eine Inderin in den 1960er Jahren im Schnitt noch sechs Kinder, sind es heute zwei.
Familie Singh aus dem Bundesstaat Uttar Pradesh ist so eine Durchschnittsfamilie. Mutter Pooja erklärt, dass ihre jetzige Schwangerschaft die letzte sein soll: «Eine kleine Familie ist gut, weil wir wenig Einkommen haben. Schon jetzt ist es schwierig, Kindern eine gute Bildung zu ermöglichen.»
In Indien hatten früher viele Familien so lange Kinder, bis mindestens ein Sohn dabei war – denn dieser bleibt traditionell im Hause der Eltern, während Töchter mit der Heirat die Familie verlassen.
Doch die Regierung setzt auch hier an – Ärztinnen und Ärzte dürfen Schwangeren nicht das Geschlecht ihres Kindes verraten. Ebenfalls erhalten Familien mit ein oder zwei Mädchen finanzielle Unterstützung – so auch die Singhs. Vater Gautam findet das gut: «Selbst wenn ich eine zweite Tochter kriege, werde ich damit klarkommen.»
Chancen und Probleme für Indien
Noch ist die Hälfte der Bevölkerung Indiens unter 30 – und das Wachstum geht laut UNO-Prognosen einige Jahrzehnte weiter - bis die Bevölkerungszahl dann schliesslich abnehmen dürfte.
Die wachsende Bevölkerung könnte dem Land Chancen bieten – etwa einen Markt mit potenziell mehr jungen, arbeitenden Menschen und weniger Unterstützungsbedürftigen. Das würde die Wirtschaft voranbringen. Auch könnte die grosse Bevölkerung Indien mehr politisches Gewicht bringen – etwa bei der UNO.
Doch das andauernde Bevölkerungswachstum ist auch für Probleme mitverantwortlich: So gibt es trotz eines Wirtschaftswachstums schlicht zu wenig Jobs und zu wenig gute Bildungsmöglichkeiten für die vielen Menschen. Es mangelt an Ressourcen wie Trinkwasser und Strom für alle.
Die Bereitstellung von mehr Strom dürfte sich angesichts von Indiens grosser Abhängigkeit von Kohle weiter negativ aufs Klima auswirken. Indien ist bereits jetzt nach China und den USA der drittgrösste CO2-Emittent. Schliesslich geschieht die Urbanisierung rasch und unkontrolliert. Die Herausforderungen Indiens bleiben also auch als bevölkerungsreichstes Land der Welt weiter gross.